Mittwoch, 12. Februar 2014

Treulich bringt ein jedes Jahr / Welkes Laub und welkes Hoffen



Nikolaus Lenau:

Stay with me, endarkened vision

Stay with me, endarkened vision, 
exercise your fullest might, 
solemn, gentle, dream-abundant, 
bottomlessly precious night. 
Let your somber magic's cover 
shield me from this earthly shore, 
high above my life to hover: 
lone for ever, evermore. 

Weil auf mir, du dunkles Auge

Weil' auf mir, du dunkles Auge,
übe deine ganze Macht,
ernste, milde träumereiche,
unergründlich süße Nacht.
Nimm mit deinem Zauberdunkel
diese Welt von hinnen mir,
daß du über meinem Leben
einsam schwebest für und für.


Nikolaus Lenau:

Lovely Spring, you left so soon!

Lovely Spring, you left so soon! 
Nowhere, nowhere dare you linger! 
Where once shone your joyful bloom 
reigns the fall, the worry-bringer.

How the wind so sadly passed 
through the bushes, as if crying; 
sounds of Nature's death at last 
in the fallow groves are sighing.

And it seems - so fast! so fast! 
that another year departed. 
Whispers from the forest ask: 
"Have your happy hours started?"

Sylvan whispers' magic sense 
targetted my inner groping: 
Faithfully each year presents 
faded leaves and faded hoping. 

Herbstklage

Holder Lenz, du bist dahin!
Nirgends, nirgends darfst du bleiben!
Wo ich sah dein frohes Blühn,
Braust des Herbstes banges Treiben.

Wie der Wind so traurig fuhr
Durch den Strauch, als ob er weine;
Sterbeseufzer der Natur
Schauern durch die welken Haine.

Wieder ist, wie bald! wie bald!
Mir ein Jahr dahingeschwunden.
Fragend rauscht es aus dem Wald:
„Hat dein Herz sein Glück gefunden?“

Waldesrauschen, wunderbar
Hast du mir das Herz getroffen!
Treulich bringt ein jedes Jahr
Welkes Laub und welkes Hoffen.


Translations into English by Walter A. Aue /
 übersetzt ins Englische von Walter A. Aue


"Nikolaus Niembsch, Edler von Strehlenau.

Wir schließen unsere Übersicht der hervorragenden oder die Entwickelung der Poesie bestimmenden Lyriker mit einer eben so erfreulichen als traurigen Erscheinung, mit einem der begabtesten Dichter der Zeit, dessen Talent in der Nacht des Wahnsinns unterging.

Nikolaus Niembsch, Edler von Strehlenau, der seine Dichtungen unter dem Namen Nikolaus Lenau herausgab, wurde am 13. August 1802 zu Csatád, einem Dorfe in der Nähe von Temeswár, geboren, verlebte aber seine Kinder- und Knabenjahre in Ofen, wohin sich sein Vater begeben hatte, als er wegen Kränklichkeit sein Amt hatte niederlegen müssen. Dort besuchte Lenau die deutsche und lateinische Schule, später die Unterrichtsanstalten zu Tokai, woh'n seine Mutter mit ihrem zweiten Gatten (sein Vater war schon früh gestorben) gezogen war. Im 17. Jahr ging er nach Wien, um Philosophie und später die Rechte zu studiren, welches Studium er auch in Presburg fortsetzte, ohne ihm jedoch Freude abgewinnen zu können, weshalb er später zum Studium der Medicin überging.

Obgleich auch diese ihm wenig Befriedigung gewährte, arbeitete er doch mit solcher Anstrengung, daß seine Gesundheit darunter litt; um sie wieder herzustellen,  begab er sich in die österreichischen Alpen, wo er eine Zeitlang in glücklicher Muße zubrachte. Hierauf ging er nach Heidelberg, um seine medicinischen Studien zu vollenden; auf seiner Durchreise durch Würtemberg wurde er mit Uhland, G. Schwab, J. Kerner, G. Pfizer und dem Grafen Alexander von Würtemberg bekannt, die er denn auch von Heidelberg aus öfters besuchte, was ihm um so mehr zur Nothwendigkeit wurde, als er allein im belebenden Umgange mit diesen Freunden den Trübsinn zu überwältigen vermochte, der ihn schon damals öfters befiel.

Im J. 1832 ergriff ihn mächtige Sehnsucht nach Amerika, wo er im Umgange mit der urkräftigen Natur poetische Stoffe und neues Leben zu finden hoffte; nach kurzen Vorbereitungen schifft er über das Weltmeer. Doch fühlte er sich in den fremden und ungewohnten Lebensverhältnissen nicht glücklich und er kehrte daher schon im folgenden Jahre nach einigen größeren Wanderungen durch die Vereinigten Staaten nach Europa zurück.

Von nun an lebte er abwechselnd in Wien, Ischl und Stuttgart. In Wien ergriff ihn die tiefste Leidenschaft für die Frau eines theuern Freundes; mit zerrisssenem Herzen floh er den geliebten Gegenstand, und es gelang ihm nach und nach, die Melancholie zu überwinden, die sich seiner bemächtigt hatte. Später machte ein junges, eben so liebenswürdiges als edles Mädchen einen großen Eindruck auf ihn, und da sie seine Neigung erwiderte, so daß sie sich verlobten, schien ein neues, ruhigeres Leben  für ihn aufzugehen, als er kurze Zeit nachdem er sich verlobt hatte, im J. 1844, plötzlich in unheilbaren Wahnsinn verfiel. Er starb in einer Irrenanstalt in Oberdöbling bei Wien den 22. August 1850 in den Armen seines Schwagers Schurz.

Wir haben oben Lenau eine zugleich erfreuliche und traurige Erscheinung genannt; erfreulich ist sie, weil es eine ächte Dichternatur war, traurig, weil er niemals zu der innern Ruhe und Harmonie gelangen konnte, mit der allein Großes geschaffen werden kann, und die unheilbare Zerrissenheit seines Innern den Grund zu seinem unglücklichen Schicksale legte.  Lenau hatte eine edle, aber reizbare Seele, die nicht nur für alles Große und Schöne empfänglich war, sondern auch mit der leidenschaftlichsten Begeisterung die Herrschaft des Guten herbeiwünschte, und daher mit der Wirklichkeit in den lebhaftesten Widerspruch gerathen mußte.

Die tagtäglich sich wiederholende Beobachtung, daß im Leben der Sieg so oft dem Bösen zu Theil wird, erschütterte selbst seinen Glauben, und er gerieth in ein Meer von Zweifeln, die je länger je mehr sein Herz der Verzweiflung nahe brachten. So ist unbefriedigte Sehnsucht, Schmerz über die Unzulänglichkeit der menschlichen Bestrebungen und Geschicke de Grundton seiner Lyrik; aber so wahr dieser Schmerz ist, weil er aus einem innersten Busen hervorströmt, so sehr er sich daher von jenem seit Heine zur Mode gewordenen Weltschmerz unterscheidet, der bei seiner Unwahrheit eher komische Wirkung hervorbrachte; so gelang es ihm doch oft nicht, ihn poetisch zu gestalten, weil er als Dichter desselben nicht Herr werden konnte, und die Dichtungen, die unter der Herrschaft dieses sein ganzes Wesen erfassenden Schmerzgefühls erstanden, werden immer unerquicklich sein, wenn auch alle oder die meisten Einzelnes darbieten, das von seinem hohen poetischen Talent zeugt.

Diese gelangt jedoch oft zur herrlichsten Entfaltung, wenn sich in glücklicheren Stunden der Schmerz zur stillen Wehmuth mäßigte, und es das Leben und die Lebensverhältnisse mit freierem Blicke betrachten konnte, oder wenn die Liebe, sei es zu einem weiblichen Wesen oder zur Natur oder auch zur Freiheit sein Herz mit vollerer Gewalt ergriff und ihm, wie gegen seinen Willen, eine noch so entfernte Hoffnung zeigte, oder ihn sogar in das reine ungetrübte Anschauen der Natur und der Welt versetzte.

Solcher Lieder sind freilich nur wenige zu finden, aber diese wenigen, wie „Der Lenz“ und die „Liebesfeier“, gehören zu den herrlichsten Erscheinungen nicht bloß der neueren Lyrik, sondern der Poesie überhaupt. Von dem reinsten Gefühl für die Natur durchdrungen, erhebt er sich oft zum tiefsten Verständnis derselben; er weiß sie mit einer wahrhaft schöpferischen Kraft zu beleben und uns dadurch selbst in ihr Verständnis zu führen. Wie jedem wahrhaften Dichter ist sie ihm stets gegenwärtig; daher seine Bilder, an denen er einen selten Reichthum besitzt, immer aus der lebendigen und reizvollen Natur genommen sind, deren Erscheinungen er mit wenigen meisterhaften Zügen vor die Seele zu zaubern versteht.

Wie für die Natur, so war sein Herz auch von der glühendsten Liebe für das Vaterland, für die Freiheit erfüllt; aber es war diese Liebe auch, eben weil sie so heiß, so sehnsuchtsvoll war, mit dem tiefsten Schmerz verbunden.

Mochte er die Blicke auf sein geliebtes Ungarn oder auf Deutschland werfen, das ihm zum zweiten Vaterland geworden war, überall traten ihm die mangelhaftesten Zustände entgegen, nirgends eine Zufluchtstätte der Freiheit. Polens herzzerreißendes Schicksal, dem er manches herrliche Gedicht widmete, mag wohl zum großen Theil seinen Entschluß herbeigeführt haben, nach Amerika zu ziehen, um die Freiheit, die in Europa auf ewig vernichtet zu sein schien, von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen.

Aber ihm blieb das ruhige, stille Walten derselben unverstanden, er erkannte sie in ihrem schlichten bürgerlichen Kleide nicht ("Der Urwald") , und so kehrte er mit neuen Zweifeln und verstärkter Hoffnungslosigkeit zurück, welche das Glück über die Rückkehr in das Vaterland nur auf kurze Zeit zurückdrängen konnte.

Zwar leuchtete ihm von Zeit zu Zeit ein neuer Hoffnungsstrahl, aber es hatte der Zweifel eine solche Gewalt über ihn erhalten, daß er denselben nur schüchtern begrüßte, und auch im Ausdrucke des scheinbar vollsten Glaubens die Hoffnungslosigkeit durchleuchten ließ, die sich seiner von Tag zu Tag mit immer größerer Gewalt bemächtigte ("An den Frühling").  Daher bildete sich auch die Sehnsucht nach dem Tode immer mehr aus, die nun in der mannigfaltigsten Gestaltung alle seine Lieder durchzog, bis der lang ersehnte sich endlich seiner bemächtigte, aber freilich in einer Form, welche die vollste Bestätigung seiner Hoffnungslosigkeit war."

Heinrich Kurz „Geschichte der deutschen Literatur“, 
Leipzig 1888, Bd. 3, S. 257f.


Ich gebe zu, immer wenn ich den sehr 19. Jahrhundert liberalen Herrn Kurz lesen will, muß ich eine Leiter dazunehmen (und eine mit mehr als zwei Stufen), und ich habe mich mehr als einmal über seine Urteile geärgert, aber diesmal wurde er mir geradezu sympathisch, fast. Denn man spürte, da sprach jemand von der eigenen Lebens-, Bekenntnis- und Schicksalswelt, die ihn mit einem Lenau so offensichtlich verband. Er war ja kein feiger Mann dieser französich-deutsch-schweizerische Herr Kurz, nicht zuletzt Verfasser einer voluminösen deutschen Literaturgeschichte, deren Artikel über Lenau ich soeben zähneknirschend abschrieb, um ihn hier anbringen zu können.

Beim Abschreiben fiel einem fast zu jeder Zeile ein Kommentar ein, aber dieses eine gemeine Zitat zum Amerika-Abenteuer müssen wir dann doch loswerden: „... diese Amerikaner sind himmelanstinkende Krämerseelen. Todt für alles geistige Leben, maustodt." (1832 an seinen Schwager Schurz). In Abwandlung eines anderen Zitats wäre dann wohl festzuhalten, heute sind wir alle Amerikaner (oder wollen es wohl zumindest werden).

Aber wir müssen dringend zu Bett und bringen deshalb vorerst weiter nur eine kleine Parodie auf eines seiner „Schilflieder“: Von „Niémetz Lenau Ferencz Miklós“liest man (aus „Wasserzeichen der Poesie“ (Nördlingen 1985)) zu: „Auf dem Teich, dem regungslosen / Weilt des Mondes holder Glanz / Flechtend seine bleichen Rosen / In des Schildes grünen Kranz...“.:

„In dos Daich, dos regungslose, / Schaugt dos ungorische Mond, / Glaichsam steckend saine Nose / In ain Glos – ist so gewohnt! ...“ .

Zum „Rest“ u.a. hier, eben gefunden.

2 Kommentare:

Walter A. Aue hat gesagt…

Vielen, vielen Dank im Namen eines meine Lieblingsdichter! Und die Bilder, vor allem das zweite und dritte, sind reiner Lenau!

Ich hatte weder die Literaturkritik noch die Parodie gekannt, aber viel Freude haben mir beide gemacht. Es ist halt bei Gedichten so wie (aus altem Gedaechtnis zitiert) die ofterinnerte Piroschka am Ende ihrem Geliebten (fuer den sie den Zug anhielt) im Finale am Bahndamm sagt, Lieben sei nicht fuer's Beschreiben, es sei fuer's Tun (Lesen). Aber auch durch die literaturkritische Beschreibung schimmert noch die Liebe zu den Gedichten durch. Offensichtlich, Herr Kurz denkt immer noch gern an Lenau...

Und das darf ich halt auch als Entschuldigung fuer meine klotzigen Uebersetzungen anfuehren. Ich hoffe, mir wird viel vergeben, weil ich viel geliebt habe...

MartininBroda hat gesagt…

Lieber Herr Prof., zunächst vielen Dank. Sie wissen ja, daß Sie „schuld“ sind, wenn ich den Lenau noch mal vorgekramt habe, nicht, daß Sie deshalb ein schlechtes Gewissen haben sollen.

Aber ernsthaft, den Artikel zu bringen, war quasi der Sprung aus dem Dilemma (außerdem schätze ich ihn als Zeitdokument), was sich etwa wie folgt darstellt:

Ich hätte mich anschließend an Lenau über die Vergeblichkeit des Daseins ausbreiten können, aber diese Art von Geschwätzigkeit ist mir gegenwärtig eher suspekt (ich rede ganz subjektiv, natürlich).

Und dann haben Sie ja recht, über Dichtung zu schreiben, ist immer ganz tückisch, das ist schnell pedantisch-anmaßend und hat etwas von dem erstaunten Blick des Sezierenden, daß das Tier nunmehr ja wohl wirklich tot sei, hm.

Man könnte hilfsweise über den Autor räsonieren, wie manche Menschen für das Unglück bestimmt zu sein scheinen. Denn mir erschien es so: Alles an ihm ist bewegt suchend und haltlos, so taumelt er von einer Erwartung desillusioniert zur nächsten, wandert versuchsweise nach Amerika in das Land der Freiheit aus, um entsetzt zurückzukehren, schleudert dem christlichen Glauben seiner Albigenser entgegen...

Und in allem dieses Gefallen am, ja das Aufgehen im Ungenügen. Ein ganz schwieriger Mensch offenkundig. Doch, was hülfe uns das?

Es ist schon kurios, wessen Lieblingsdichter er war, Bismarcks etwa. Mir selbst, so unwichtig das ist, widerstrebt mitunter der wehleidige Ton. Aber es kommen selbstredend beeindruckende Sachen dabei heraus, oft, sehr oft.

Was erneut beweist, beim wahren Dichter ist „seine“ Dichtung größer als er selbst und daher aus ihm heraus auch nicht erklärlich, aber wie soll man das aufzeigen?

Nochmals vielen Dank.

Ihr M. Wisser