Samstag, 18. August 2012

Über den Trost des Ideellen


Dieser Ort hat eine schwierige Physiognomie, genauer gesagt, die Stadt, der er zugehört. Einige markante übriggebliebene Zeugnisse der Backsteingotik bilden einen Rahmen, der überwiegend von zuviel Beton-Leere überfüllt wird, und das hat sich nach der sogenannten „Wende“ bruchlos fortgesetzt. Aber davon wollten wir gar nicht reden. Etwa 10 Fußminuten entfernt gibt es ein „Belvedere“. Das Belvedere ist zu Neubrandenburg ein wenig fremd, vielleicht war es das eher schon, aber jetzt ist es zweifelsohne so.

Der nahegelegene Tollensesee wurde von der letzten Eiszeit geschaffen, er wirkt stellenweise wie eine halbvolle Badewanne und seine Ränder sind daher häufig - Steilufer; ach ich vergaß zu erwähnen, die Natur immerhin ist hier durchgehend sehr eindrucksvoll. An einem Stück besonders eindrucksvollen nordwestlichen Steilufers beschloß ein mecklenburgischer Herzog also, ein Sommerhaus zu errichten.

Der Herzog hieß Adolf Friedrich IV. und ist übrigens von Fritz Reuter liebevoll beschrieben worden, das war 1775; ein eher schlichter Fachwerkbau, der später abgebrochen und (sic!)  in der Beguinenstraße (also in der Innenstadt) sorgfältig wieder aufgebaut wurde, als eine Heimstatt der Freimaurer (auch kurz nach/bei Kriegsende verbrannt). Gut, zuletzt war es eine Gaststätte namens "Tivoli".


Großherzogin Marie, Gemahlin des Großherzogs Georg, ein konservativer, aber nichtsdestotrotz (?) recht beliebter Regent seines kleinen Landes, ließ am selben Standort 1823 erneut ein Sommerhaus erbauen. Sie beauftragte dazu Friedrich Wilhelm Buttel, der dieses (inzwischen) „Großherzogtum“ vielfach mit seinen Bauten bereichert hat. Ungewöhnlich für ihn (und die Proportionen sind auch vielleicht nicht immer ganz glücklich, nun ja) schuf er es als bescheidenen dorischen Tempel. Der Tempel war eher ein Pavillon mit einem Saal, reich dekorierter Stuckdecke, Statuen, einem Kamin und einer kleine Küche, nebst Kammer. Es existiert eine Gedenktafel am Bau, die daran erinnert.


Auch dieses Land wurde von dem entbehrlichen Umsturz von 1918 berührt, er machte seinerseits das Belvedere funktionslos, es gab keinen Bedarf mehr für ein herzogliches Sommerhaus. In den 20er Jahren beging man auf dem Areal noch gelegentlich Volksfeste. Die nächste große Umgestaltung hingegen erfolgte 1934, als man sich entschloß, das Gebäude zum Ehrendenkmal für die im 1. Weltkrieg Gefallenen aus Mecklenburg-Strelitz umzugestalten. Das Belvedere wurde in eine offene Halle verwandelt, die Mitte des Raumes nahm ein großes, in den Boden eingelassenes Eisernes Kreuz ein.

Die Pläne hierzu stammten von Prof. Heinrich Tessenow (nicht unbekannt bspw. im Zusammenhang mit der „Neuen Wache“ in Berlin, die er ebenfalls zum Ehrenmahl umgestaltet hatte). Der Platz hinter dem Belvedere wurde von einer monumentalen Bruchsteinmauer mit Freitreppe eingefaßt. Der Ort veränderte folglich deutlich seinen Charakter weg vom eher Idyllischen.

Vielleicht sollte man noch erwähnen, daß Tessenow lange Jahre in dieser Stadt seinen eigentlichen Wohnsitz hatte, auch wenn er woanders lehrte. Um 1920 herum hatte er ein großes, altes Bürgerhaus erworben und für sich und seine Familie hergerichtet. Erst gegen Ende des 2. Weltkrieges zog er nach Siemitz bei Güstrow.


Wir stehen vor der nächsten Zäsur. Die Ehrung der Gefallenen des 1. Weltkrieges war nicht unbedingt eine Herzensangelegenheit der neuen Machthaber. Das Belvedere verfiel, die Ausgestaltung wurde teilweise demoliert. Immerhin begann man Ende der 70er Jahre das Gebäude wiederherzustellen, der Stadt schwebte ein Ort für Freilichtveranstaltungen mit großer Bühne vor, aber das Projekt wurde nicht vollendet. Erst 1995 wurde das Belvedere endgültig restauriert (ohne Freilichtbühne).

Und heute? Heute gibt es dort gelegentlich Konzerte, Sommerfeste wie die "Tangonacht", und seit hier auch Hochzeiten geschlossen werden können, was rege in Anspruch genommen wird, werden die Schmierereien schnell wieder entfernt, mit denen abseitig Veranlagte das Häßliche, das in ihrem Kopf haust, nach außen zu bringen suchen. Aber die meiste Zeit drückt sich an diesem Ort allenfalls ein Pärchen in einen Winkel oder ein Haufen junger Menschen hat seinen Spaß.

Der Titel deutet an, daß dieser Beitrag eigentlich eine andere Richtung nehmen sollte (doch nun ist die "Einleitung" schon so lang geworden). Denn das Belvedere ist nicht nur das einzige klassizistische Bauwerk Buttels, das auf uns gekommen ist. In der ganzen Region gibt es nichts von dieser Art, man müßte schon bis nach Neustrelitz, die alte Residenzstadt, gehen, da ist ein wenig übriggeblieben.

Und dabei wäre es doch ein willkommener Anlaß, angesichts dieser 4 wenigen dorischen Säulen einmal darüber nachzusinnen, was unsere Vorfahren dazu brachte, ihre Sehnsucht auf die lange vergangene Antike zu richten, und was sie darin zu finden hofften (ich verweise nur kurz auf Johann Heinrich Voß, der kommt aus der hiesigen Gegend). Für sie war ein Bauwerk offenbar mehr als ein nur nützlicher Baukörper, er hatte Teil an der Darstellung einer ideelen Ordnung, die den Menschen emporheben sollte. Aber all das sind Gedanken, die den meisten Menschen, inklusive Bauherren, des jetzigen Zeitalters wesensfremd geworden sind.
nachgetragen am 25. August

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