Freitag, 23. November 2012

Vor 1100 Jahren - Otto der Große



Beiläufige Vorbemerkungen

Auf dem allerersten Bild sehen wir ein Mosaik aus einer U-Bahn-Station in Berlin (Richard-Wagner-Platz, näheres hier) - den ersten deutschen Kaiser, wenn man so will - Otto I. aus dem Geschlecht der Liudolfinger. Er wurde vor 1100 Jahren, also am 23. November 912 AD geboren.

Gelegentlich findet man sogar heutigentags in den sogenannten „Qualitätszeitungen“ nicht nur Scharfzüngiges, sondern auch Scharfsinniges. Etwa hier zu einer Biographie Ottos des Großen von einem Prof. Becher aus Bonn, der folgendes Resumé zieht: Ein Herrscher des Friedens sei Otto nie gewesen, was ihm in heutiger Zeit zu Recht keine Achtung eintrage, denn auch im 10. Jahrhundert bedeutete Krieg vor allem unendliches Leid. Der „nicklige“ Kommentar: „Wen will Becher mit dieser Phrase besänftigen: die Ethikkommission der Friedrich-Wilhelms-Universität oder die Aktionsgruppe Deutsches Mittelalter der 'Frauen für den Frieden'? Hat Otto 'zu Recht keine Achtung' verdient, weil er die auf dem Lechfeld gefangenen Ungarnfürsten nicht vor ein internationales Tribunal stellte, sondern wie Strauchräuber enthaupten ließ?“

Eine andere (anspruchsvolle) Schwundstufe neu-bundesrepublikanischen Geschichtsbewußtseins stellt uns sein Lehrstuhlvorgänger Gerd Althoff heute (Sonnabend) in der FAZ vor. Er rühmt die Friedfertigkeit des Kaisers am Ende irgendwie, nun ja, das ist gerade en vogue, aber grandios ist diese Volte: „Aus heutiger Sicht liegen Ottos Verdienste nicht vorrangig in der Steigerung der Königs- und Kaisermacht. Ottos Herrschaft trug vielmehr zu Integration der ostfränkischen 'Stämme' dadurch bei, dass in seiner Zeit die königlichen Ansprüche und die adlige Partizipation an seiner Herrschaft ausbalanciert wurde. Die schuf föderale Strukturen, deren Fortwirken trotz allen Wandels man bis heute beobachten kann.“

Otto I. bleibt also in Erinnerung als (unfreiwilliger?) Begründer des Föderalismus? Ich spitze zu, aber nur wenig. Daß beide Äußerungen aus Bonn stammen (sozusagen), kreiert eine zusätzliche Pointe, nein, nicht nur die offenkundige. Bonn war einmal die „Heimatuniversität“ des Hochadels und des höheren Bürgertums, vor langer Zeit, unser letzter Kaiser hat z.B. dort studiert. Doch genug davon.

Ich weiß über Otto I. quasi nichts (ich lese nur hier und da ein wenig), und beide genannte Herren sind zweifelsohne Sachwalter großer Wissensbestände. Aber, was ich sehe, hat ein wenig von Missionaren und Anthropologen des 19. Jahrhunderts an sich, die auch viel zusammentrugen und... Das zu den Vorbemerkungen.


Eine Annäherung

In vergangenen Zeiten hielt man das, was uns so wichtig erscheint, das Biographisch-Persönliche nämlich, für nebensächlich, wenn sich in ihm nicht Bedeutenderes spiegelte. Wir wissen wenig über den Menschen Otto, wir können allenfalls indirekten Hinweisen folgen. Vielleicht stimmt es aber, daß in der Figur des „Magdeburger Reiters“ seine Züge überliefert sind. Magdeburg war ihm nahe, er hat es mit hartnäckigem Bemühen zum Erzbistum gemacht, er ist dort begraben.

„Tres luctus causae sunt hoc sub marmore clausae,
Rex, decus ecclesiae, summus honor patriae.

„Drei Gründe der Trauer liegen unter diesem Marmor beschlossen,
er war der König des Reiches, die Würde der Kirche, die höchste Ehre des Vaterlands.“

Also bleibt uns nur, in diesen Zügen zu forschen. Oder aus seinem von Chronisten überlieferten Verhalten auf seinen Charakter zu schließen, das wären dann Großmut, Menschenkenntnis, Beherrschtheit, die Fähigkeit zu vergeben, solange dies irgend vertretbar war, Wachheit. Kühnheit, Tapferkeit, Offenheit, Frömmigkeit. Er hatte die typische Erziehung eines germanischen Adligen erfahren, wozu Lesen und Schreiben nicht zählten. Mit etwa 35 Jahren, nach dem Tod seiner ersten Gemahlin, erzählt der Chronist Widukind, „lernte er die ihm vorher unbekannten Buchstaben so gut, daß er Bücher vollkommen lesen und verstehen kann“. Man mag das amüsant finden, kann aber auch darin die Fähigkeit entdecken, die Grenzen der Herkunft zu überschreiten.

Menschen können auch mit einem großartigen Charakter scheitern, und wenn etwas derart exemplarisch behauptet wird, handelt es sich wahrscheinlich um eine propagandistische Lüge, denkt man schnell. Beides ist offenkundig bei ihm aber nicht der Fall. Er ist nicht gescheitert, er hat Entscheidungen getroffen, die folgende Jahrhunderte geprägt haben, und er war einer der bedeutendsten Herrscher, die uns Deutschen gegeben wurden.

 

Translatio Imperii

Wie er seine Herrschaft bewahrte, die Einzelheiten seines Ringens, die Deutschen an eine gemeinsame Autorität zu gewöhnen, das mag man anderswo nachlesen. Otto d. Große fügte nicht nur dieses fragile, fast zufällige ostfränkische Reich zu einer festeren Gestalt, er hat den Staat der Deutschen, wie immer sie sich damals genannt oder gefühlt haben mögen, mit der schon halb abgesunkenen Idee des (west)-römischen Kaisertums verbunden. Viele haben ihm dies übelgenommen, später. Den Zeitgenossen erschien es das Natürlichste, von der Pflicht Gebotene.

Heutigen Menschen fällt es schwer, sich vorzustellen, daß jemand tatsächlich aus Ideen und Glaubensvorstellungen heraus handelte, die ihnen komplett und abweisend fremd sind. Sie vermuten dann eine Art von Zynismus, denn damit sind sie vertraut. Ja, es gab vor mehr als 1000 Jahren ebenfalls viel Grausamkeit, Eidbrüche, Verrat und Niedertracht. Aber eben nicht nur.

Die Erneuerung des Kaisertums galt den Zeitgenossen als Pflicht und Recht. Als Pflicht, weil man das 7. Kapitel des Propheten Daniel so verstand, daß das römische Reich bis zum Ende der Zeiten von Weltgericht und dem Anbruch des Reiches Gottes nicht untergehen durfte, da es das 4. und letzte der großen Reiche der Menschen sei, ein seit Konstantin christlich Gewordenes zumal. Manche glaubten, daß sein Bestand das Weltende sogar hinauszögern würde. Derjenige, der die Möglichkeit zu seiner Wiederherstellung besaß, hatte also nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht zu diesem gottgefälligen Werk.

Kaiser Otto war ein frommer Mann, der die Missionierung Skandinaviens und des Ostens nach Kräften vorantrieb. Man darf davon ausgehen, daß er das Kaiseramt mit ganzem Ernst und nicht aus schlichtem Machtkalkül anstrebte. Es hat sich über tausend Jahre mit Deutschland dauerhaft verbunden und seinem Geschick sehr eigentümliche Wendungen beschert. Ein Land und Reich stand über tausend Jahre im Dienste einer Idee, nach menschlicher Art, also meist unzulänglich, beschämend kleinlich, selbstvergessen, am Ende zunehmend als Farce, aber nicht nur. Und der Anfang aber war stark und überwältigend, wie Anfänge zuweilen eben sind.

beendet am 25. November
 

3 Kommentare:

naturgesetz hat gesagt…

The final paragraph of the Encyclopædia Britannica's article on Otto (in the 15th edition) states:

"Otto's achievement rests mainly on his consolidation of the Reich. He deliberately made use of the bishops to strengthen his rule and thus created that 'Ottonian church system of the Reich' that was to provide a stable and long-lasting framework for Germany. By his victorious campaigns, he gave Germany peace and security from foreign attack; and the pre-eminent position that he won as ruler gave him a sort of hegemony in Europe. His Italian policy and the acquisition of the imperial crown constituted a link with the old Carolingian tradition and was to prove a great responsibility for the German people in the future. All areas under Otto's rule prospered, and the resultant flowering of culture has been called the Ottonian renaissance."

It's a good blogpost that sends me to the Britannica, and I'm led once more to regret the neglect of European history, apart from England's, in American schooling — at least it was so when I was in school, and I've seen nothing to indicate that things have changed for the better: there may be more about non-Western history, but not about continental Europe.

MartininBroda hat gesagt…

Dear Joe: Incidentally I just recognised I haven’t answered your comment; so I’m sorry, again. But this gave me the opportunity to read it again, as well, and if I might say so, my little blog post wasn’t that bad. Otto was one of the founding fathers, if one might say so, of the German state, and I fear you’ll not find many Germans to remember him. So when you mourn the “neglect of European history” in your educational system I have to bemoan the lack of self-esteem, historical knowledge, the core of culture here. Thanks for reading.

detlef stapf hat gesagt…

Eine Annäherung an den Kaiser Otto kann auch eine Reise sein http://kulturreise-ideen.de/geschichte/deutsche-geschichte/Tour-otto-der-grosse.html