Montag, 9. Juli 2012

In einer alten Anthologie gelesen

Da stolpere ich, verursacht durch den Hinweis eines Freundes, in diese Anthologie vom Frühjahr 1921 hinein, herausgegeben von Hans Bethge, wahrlich kein Unbekannter, und fange an zu lesen, manches kannte ich dem Namen nach, manches gar nicht, einiges wirkt fremder als ein Jahrhundert zurück, aber was bedeutet schon Zeit, diese große Illusion.



Max Liebermann, Weidenbäume


Detlev von Liliencron
Tod in Ähren

Im Weizenfeld, in Korn und Mohn,
Liegt ein Soldat, unaufgefunden,
Zwei Tage schon, zwei Nächte schon,
Mit schweren Wunden, unverbunden.

Durstüberquält und fieberwild,
Im Todeskampf den Kopf erhoben.
Ein letzter Traum, ein letztes Bild,
Sein brechend Auge schlägt nach oben.

Die Sense sirrt im Ährenfeld,
Er sieht sein Dorf im Arbeitsfrieden,
Ade, ade, du Heimatwelt --
Und beugt das Haupt, und ist verschieden.

Max Liebermann,  Reiter am Strand
Wilhelm Arent
Melancholie

Meiner Jugend Träume,
Wo seid ihr hin?
Ihr himmlischen Räume,
Wie fern ich euch bin!

Draußen grünen die Bäume,
Flur in Blüte steht --
Meine Lieder sind Schäume,
Die der Wind verweht ...


J. S. Bach, Suite N.1 G-Dur BWV 1007

Peter Baum
Nun schweig

Nun schweig und fühle, wie die Schatten wehn;
Aus tiefen Himmeln bunte Flammen sinken,
Und schwarze Wolken felsenzackig stehn
Um blanke Dächer, die wie Seen blinken.
Und suche meine Seele nicht; die liegt
In jenem Baum, weit hinterm Sonnenfeuer,
Der sich im Weltall zwischen Sternen wiegt.


Hans Bethge
Wir wehen ...

Wir wehen durch die Lüfte,
Grau wie Regen weht,
Zart wie Düfte der Blumen,
Bang wie der Flöte Lied.

Wehen mit Eile, sinken
Nieder in einem Feld,
Abend hüllt kühl uns ein,
Nacht ist so märchenschön.

Manche erheben wieder
Ihre Flügel, wehen
Weiter, düstere Wolken
Oder Gerüche der Flur.

Andere bleiben liegen
In den Hainen und Gärten,
Werden Erde und Halme,
Spielend im Frühlingshauch.

Hörst du ein Seufzen im Abend?
Und ein Lachen im Wind.
Wer da wehte vorüber
Ach -- und wohin? wohin?

Lovis Corinth; Männlicher Halbakt 

Otto Julius Bierbaum
Die Kranke

Ich fühle keinen Schmerz und bin doch krank;
Mir ist die Kraft genommen, ich bin leer.
Ich lebe ab, so wie ein Rad abläuft,
Das von der Feder, die es trieb und hielt,
Gelöst ward. -- Ach, sie pflegen mich so lieb,
Und dennoch weiß ich's, balde ist's vorbei.
Und bin nicht traurig. Ruhe wird mein Teil.
Ich werde ruhig blühn in leichtem Wind,
Wie meine Blumen, die im Garten sind.


Theodor Däubler
Weg


Mit dem Monde will ich wandeln:
Schlangenwege über Berge
Führen Träume, bringen Schritte
Durch den Wald dem Monde zu.

Durch Zypressen staunt er plötzlich,
Daß ich ihm entgegengeh,
Aus dem Ölbaum blaut er lächelnd,
Wenn mich's friedlich talwärts zieht.

Schlangenwege durch die Wälder
Bringen mich zum Silbersee:
Nur ein Nachen auf dem Wasser,
Heilig oben unser Mond.

Schlangenwege durch die Wälder
Führen mich zu einem Berg.
Oben steht der Mond und wartet,
Und ich steige leicht empor.

Lovis Corinth, Rosen

Max Dauthendey.
Laß mich in deinem stillen Auge ...

Laß mich in deinem stillen Auge ruhen,
Dein Auge ist der stillste Fleck auf Erden.

Es liegt sich gut in deinem dunkeln Blick,
Dein Blick ist gütig wie der weiche Abend.

Vom dunkeln Horizont der Erde
Ist nur ein Schritt hinüber in den Himmel,
In deinem Auge endet meine Erde.


Die Luft so schwer ...

Die Luft so schwer,
Wolken stehen weiß und still,
Der Himmel hohl und aschenleer,
Ein Rabenschrei --,
Und kreischt vorbei.
Die Bäume stehen kalt umher,
Es ist, als ob das letzte Herz gestorben sei.


Les Pleurs de Monsieur de Sainte Colombe

Der Mond ist wie eine feurige Ros'

Der Mond geht groß aus dem Abend hervor,
Steht über dem Schloß und dem Gartentor
Und läßt sanft glühend die Erde los.
Der Mond ist wie eine feurige Ros',
Die meine Liebste im Garten verlor.

Mein Schatten an den steinernen Wänden
Geht hinter mir wie ein dienender Mohr.
Ich werde den Mohren hinsenden,
Er hebe die Rose vorsichtig auf
Und bringe sie ihr in den dunklen Händen.


Richard Dehmel
Stiller Gang

Der Abend graut; Herbstfeuer brennen.
Über den Stoppeln geht der Rauch entzwei.
Kaum ist mein Weg noch zu erkennen.
Bald kommt die Nacht; ich muß mich trennen.
Ein Käfer surrt an meinem Ohr vorbei.
Vorbei.

Max Klinger, Sommerlandschaft

Gustav Falke
Das Mohnfeld

Es war einmal, ich weiß nicht wann
Und weiß nicht wo. Vielleicht ein Traum.
Ich trat aus einem schwarzen Tann
An einen stillen Wiesensaum.

Und auf der stillen Wiese stand
Rings Mohn bei Mohn und unbewegt,
Und war bis an den fernsten Rand
Der rote Teppich hingelegt.

Und auf dem roten Teppich lag,
Von tausend Blumen angeblickt,
Ein schöner, müder Sommertag,
Im ersten Schlummer eingenickt.

Ein Hase kam im Sprung. Erschreckt
Hat er sich tief ins Kraut geduckt,
Bis an die Löffel zugedeckt,
Nur einer hat herausgeguckt.

Kein Hauch. Kein Laut. Ein Vogelflug
Bewegte kaum die Abendluft.
Ich sah kaum, wie der Flügel schlug,
Ein schwarzer Strich im Dämmerduft.

Es war einmal, ich weiß nicht wo.
Ein Traum vielleicht. Lang' ist es her.
Ich seh' nur noch, und immer so,
Das stille, rote Blumenmeer.


Cäsar Flaischlen.
Ganz still zuweilen ...

Ganz still zuweilen wie ein Traum
Klingt in dir auf ein fernes Lied ..
Du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
Du weißt nicht, was es von dir will ...
Und wie ein Traum ganz leis und still
Verklingt es wieder, wie es kam ...

Wie plötzlich mitten im Gewühl
Der Straße, mitten oft im Winter
Ein Hauch von Rosen dich umweht,
Oder wie dann und wann ein Bild
Aus längstvergessenen Kindertagen
Mit fragenden Augen vor dir steht ...

Ganz still und leise, wie ein Traum ...
Du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
Du weißt nicht, was es von dir will,
Und wie ein Traum ganz leis und still
Verblaßt es wieder, wie es kam.

Max Klinger, Bildnis Elsa Asenijeff im Freien

Georg Heym
Alle Landschaften haben ...

Alle Landschaften haben
Sich mit Blau erfüllt.
Alle Büsche und Bäume des Stromes,
Der weit in den Norden schwillt.

Leichte Geschwader, Wolken,
Weiße Segel dicht,
Die Gestade des Himmels dahinter
Zergehen in Wind und Licht.

Wenn die Abende sinken
Und wir schlafen ein,
Gehen die Träume, die schönen,
Mit leichten Füßen herein.

Zimbeln lassen sie klingen
In den Händen licht.
Manche flüstern und halten
Kerzen vor ihr Gesicht.



Hugo von Hofmannsthal
Terzinen

Wir sind aus solchem Zeug, wie das zu Träumen,
Und Träume schlagen so die Augen auf
Wie kleine Kinder unter Kirschenbäumen,

Aus deren Krone den blaßgoldnen Lauf
Der Vollmond anhebt durch die große Nacht.
.. Nicht anders tauchen unsre Träume auf,

Sind da und leben, wie ein Kind, das lacht,
Nicht minder groß im Auf- und Niederschweben
Als Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht.

Das Innerste ist offen ihrem Weben,
Wie Geisterhände in versperrtem Raum
Sind sie in uns und haben immer Leben.

Und drei sind eins: ein Mensch, ein Ding, ein Traum.

Hans Makart, Großes Blumenstück

Detlev von Liliencron
In einer großen Stadt

Es treibt vorüber mir im Meer der Stadt
Bald der, bald jener, einer nach dem andern.
Ein Blick ins Auge, und vorüber schon.
Der Orgeldreher dreht sein Lied.

Es tropft vorüber mir ins Meer des Nichts
Bald der, bald jener, einer nach dem andern.
Ein Blick auf seinen Sarg, vorüber schon.
Der Orgeldreher dreht sein Lied.

Es schwimmt ein Leichenzug im Meer der Stadt.
Querweg die Menschen, einer nach dem andern.
Ein Blick auf meinen Sarg, vorüber schon.
Der Orgeldreher dreht sein Lied.


David Ianni - Obsculta

Weite Aussicht

Steht eine Mühle am Himmelsrand,
Scharfgezeichnet gegen mäusegraue Wetterwand,
Und mahlt immerzu, immerzu.

Hinter der Mühle am Himmelsrand,
Ohne Himmelsrand, mahlt eine Mühle, allbekannt,
Mahlt immerzu, immerzu.

Wird fortgesetzt

1 Kommentar:

Walter A. Aue hat gesagt…

Wenn es doch nur mehr solcher alter Anthologien gaebe! Danke! Uebrigens, Iannis Kloster kam mir bekannt vor...