Samstag, 15. Dezember 2012

Nicht Ochs noch Esel


Loreena McKennitt "Emmanuel"

Am Vorabend des 3. Advent ein Buch des Hl. Vaters über die Geburtsgeschichten Jesu zu lesen, ist vielleicht nicht völlig unangemessen. Der erste Vorzug des Buches, irgendwann verschwindet die Distanz, all dieses hätte ein ferner Papst geschrieben, denn es wird zu einem Selbstgespräch, nahezu.

Das Stück dort oben übrigens ist Loreena McKennitts Interpretation von  "Emmanuel" (ich hatte es bei unserem Adventsessen neben anderem spielen lassen - ja es ist später geworden - und die Rührung trug mich nahezu fort; dieses gefundene Video allerdings zeigt sehr private Züge, aber dann ging mir auf, wie sehr das, was ich hier schreibe, doch auch oft eine zu private Zumutung ist, also akzeptieren wir den verzerrten Spiegel einfach).

Johannes Paul II. hat 1979 auf der Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe gemahnt: „Unsere Zeit mag die Epoche sein, die am meisten über den Menschen geredet und geschrieben hat, die Epoche der Humanismen und des Anthropozentrismus. Und doch ist sie paradoxerweise auch die Epoche der tiefsten Ängste des Menschen, des angstvollen Fragens nach seiner Identität und seiner Bestimmung, eine Epoche der Erniedrigung des Menschen in ungeahnte Abgründe, eine Epoche der wie nie zuvor missachteten und verletzten menschlichen Werte. Wie erklärt sich dieser Widerspruch? Man kann sagen, dass hier der unerbittliche Widerspruch, der dem atheistischen Humanismus selbst zu eigen ist, zutage tritt. Es ist das Drama des Menschen, dem man eine wesentliche Dimension seines Seins amputiert hat – die Dimension des Absoluten. Auf diese Weise sieht er sich der schlimmsten Minderung seines Seins selbst ausgesetzt.“

Ich zitiere damit den an diesem Ort hinreichend eingeführten Herrn Roloff, der seinerseits den Hl. Vater zitierte, um hinzuzufügen: „Hier ist mit großer Deutlichkeit markiert, worin so etwas wie die Zerstörung des Tempels in unserer Zeit liegt. Nur mit dem Unterschied, dass der moderne Mensch nicht in Erschütterung vor den Trümmern des Tempels steht, wie die Israeliten des 6. vorchristlichen und des 1. nachchristlichen Jahrhunderts es getan haben, sondern auch noch wähnt, einen Triumph davongetragen zu haben.“

Das, wovon Benedikt XVI. schreibt, liegt vor der Zerstörung des 2. Tempels, ja noch vor den einschneidenden Ereignissen von Erscheinen, Kreuzigung und Auferstehung unseres Herrn und Heilands. Eine „Eingangshalle“ wollte er den beiden Bänden seines erstaunlichen Jesus - Buches hinzufügen, und natürlich schaut man zuerst eher bang, was er denn den scheinbar legendarisch-idyllischen Geschichten noch abzulesen vermag.

„Woher bist du?“

Um es gleich zu sagen, dieses äußerlich kleine Buch ist ein großes, und wie seltsam es sich damit seinem „Gegenstand“ akkommodiert. Eine 2. Beobachtung, es ist ein Buch, das man meditierend lesen sollte, denn zu schnell gleitet man sonst über Bemerkenswertes hinweg. Dies beginnt mit dem Eingangskapitel, das von der Genealogie Jesu handelt, und der nur auf den ersten Blick einfachen Frage des Pilatus „Woher bist du?“ Die Umstände seines Herkommens liegen klar zutage, offenbar, und rücken seinen Anspruch, äußerlich gesehen, in ein geradezu anmaßendes Licht.

Der Evangelist Matthäus antwortet auf diese Frage mit einem Stammbaum, der Abraham und David zu Eckpfeilern hat. Benedikt jedoch verweist darauf, daß dieser Stammbaum mit Maria endet, „die in Wirklichkeit ein neuer Anfang ist und den ganzen Stammbaum relativiert“. „Rechtmäßig“ gehört Jesus zur Sippe Davids, der Stammbaum ist nicht belanglos, aber zum anderen kommt er von Gott her. „Das Geheimnis des Woher, des doppelten Ursprungs begegnet uns ganz konkret: Seine Herkunft ist zu benennen, und dennoch ist sie Geheimnis.“ Der Stammbaum der Männer habe sein geschichtliches Gewicht. „Und dennoch ist es am Ende Maria, die demütige Jungfrau aus Nazareth, in der ein neuer Anfang geschieht, das Menschsein neu beginnt.“

Wir müssen hier kurz innehalten, nicht nur, weil aus diesen ersten Gedanken spätere Generationen die Lehre von den zwei Naturen Christi entfaltet haben. Benedikt meditiert im Grunde über das Handeln Gottes, das mit den geschichtlichen Ereignissen verschränkt wirkt, in diesen nahe ist, aber sie doch übersteigt und hinter sich läßt. In Jesus - „sein Verwobensein in die geschichtlichen Wege der Verheißung“ sowie der „Neubeginn, der paradoxerweise zugleich mit der Kontinuität von Gottes geschichtlichem Handeln seine Herkunft kennzeichnet“.

Menschen, geprüft vom Heiligen  

Wir bleiben im zweiten Kapitel - das zu Beginn von Johannes dem Täufer handelt und von „herrenlosen“ Worten des Alten Testaments „die zunächst noch auf die Gestalt warten, von der sie sprechen“ - beim Gespräch des Erzengels Gabriel mit Maria, wie es Lukas beschreibt. Mich fasziniert die Fähigkeit des Hl. Vaters, mit wenigen Strichen Seelenbilder zu zeichnen, hier von der Jungfrau Maria.

Marias erste Reaktion auf die ihr entgegentretende Verheißung ist „Erschrecken und Nachdenklichkeit“. Sie bleibt nicht beim ersten Erschrecken über die Nähe Gottes, sie sucht zu verstehen und erscheint  „so einerseits als furchtlose Frau, die auch vor dem Unerhörten besonnen bleibt. Zugleich steht sie da als innerliche Frau, die Herz und Verstand beieinander hält und den Zusammenhang, das Ganze von Gottes Botschaft zu erkennen sucht. Sie wird so zum Bild der Kirche, die das Wort Gottes bedenkt, seine Ganzheit zu verstehen versucht und das Geschenkte in ihrem Gedächtnis bewahrt.“ (!)

Ihre zweite Reaktion wird als rätselhaft beschrieben: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Mit anderen Worten, sie erwartet keinen ehelichen Umgang mit Josef, dem sie doch verlobt ist, und der Engel antwortet: „Für Gott ist nichts unmöglich.“

Maria erwidert mit einem schlichten „Mir geschehe nach deinem Wort“. Das ist kein simples resignatives Schulterzucken, das ist ein „Ja“ ins Ungewisse hinaus. „Es ist der Augenblick des freien, demütigen und zugleich großmütigen Gehorsams, in dem sich die höchste Entscheidung menschlicher Freiheit ereignet.“ Das Heilsgeschehen wäre ohne dieses Ja vergeblich geworden.

Dann verließ sie der Engel „und Maria bleibt allein zurück mit dem Auftrag, der eigentlich über jedes menschliche Vermögen hinausgeht. Keine Engel stehen um sie herum...“ Sie muß ihren Weg allein durchleiden von nun an, äußerlich, denn in Wahrheit wächst ihre Nähe zu Gott, Maria wird nahe zu Gott, und darin erfährt und trägt sie mehr und mehr auch sein Leiden an der Menschheit mit.

Die Zeichnung der Gestalt des Josef, dieses zumeist im Schatten stehenden „Gerechten“, wie ihn Benedikt beschreibt, beeindruckt als nächstes. „Nach der Entdeckung, die Josef gemacht hat, geht es darum, das Gesetz recht auszulegen und anzuwenden. Er tut es in Liebe. Er will Maria nicht öffentlich der Schande preisgeben. Er will ihr gut, auch in der Stunde der großen Enttäuschung.“ Er verkörpere nicht jene Form von „veräußerlichter Gerechtigkeit“, gegen die Jesus ankämpfte. Und Benedikt verweist damit auf eine entscheidende Unterscheidung, zwischen dem Frommen, dessen Urteil der eigenen Selbstbehauptung dient, und dem Frommen, der auf die Quelle des Mensch-Seins im wahren und guten Sinne gestoßen ist. Nur letzterer ist offen für das Neue und Unerwartete, das aus Gott begegnet mit der „Wahrnehmungsfähigkeit dem Göttlichen gegenüber“ und der „Fähigkeit der Unterscheidung“.

Und so vermag Josef zu erkennen, daß er nicht hintergangen wurde, nachdem er bereits Barmherzigkeit bezeugte. Seine Aufgabe ist nicht nebensächlich, wie oft behauptet, sondern „als Träger der Davids-Verheißung“ hat er „für Gottes Treue einzustehen“.

Der Hl. Vater entwickelt an dieser Stelle einen Gedanken, der mein langes Eingangszitat erklärt: „Der Mensch ist ein Mensch in Beziehungen. Und wenn die erste, die grundlegende Beziehung des Menschen gestört ist – die Beziehung zu Gott -, dann kann nichts Weiteres mehr wirklich in Ordnung sein.“ Der Kern der Botschaft Jesu. Das Bejahen des Willens Gottes ist keine Herabwürdigung unter fremde Willkür, sondern das Ja zum eigenen Wesen, die Rettung der Substanz des Menschlichen.

Ist Jesus aus einer Jungfrau geboren? Benedikt verwirft die religionsgeschichtlichen Hinführungen und Parallelen, die aufgeboten wurden, um festzuhalten: „So ist Jesus der neue Adam, Neubeginn ab integro – aus der Jungfrau, die ganz dem Willen Gottes zur Verfügung steht.“ Und er fügt diesen schönen Satz an: „Vielleicht kann man sagen, dass die stillen und verworrenen Träume der Menschheit vom neuen Anfang in diesem Geschehen Wirklichkeit geworden sind – in einer Wirklichkeit, wie nur Gott sie schaffen konnte.“

Die Geburt aus der Jungfrau und die leibliche Auferstehung Jesu aus dem Grab sind „ein Skandal für den modernen Geist“. „Gott darf in Ideen und Gedanken wirken, im Geistigen - aber nicht an der Materie. Das stört.“ Und er zieht den einzig möglichen Schluß: „Wenn Gott nicht auch Macht über die Materie hat, dann ist er eben nicht Gott. Aber er hat diese Macht, und er hat mit Empfängnis und Auferstehung Jesu Christi einen neue Schöpfung eröffnet.“

Die Geburt Jesu in Bethlehem

Im dritten Kapitel nun wird die Geburt Jesu zu Bethlehem beschrieben. Nicht in einem zufälligen Moment, sondern als die Zeit reif geworden war für dieses Ereignis. Gottes Geschichte mit den Menschen geht nicht über die Geschichte der Menschen hinweg. Jesus tritt hervor in der „Fülle der Zeit“. Und: „Jesus ist nicht im Irgendwann des Mythos geboren und aufgetreten.“ Zeit und Raum sind klar bezeichnet. „Das Universale und das Konkrete berühren einander. In ihm ist der Logos, der schöpferische Sinn aller Dinge, in die Welt hereingetreten.“ Der Glaube ist an diese konkrete Realität gebunden, auch wenn dann die Auferstehung Jesu „in die offene Weite der ganzen Menschheit hineinführt“.

Jesus wird in die Armut hineingeboren, von seiner Geburt her gehört er nicht dem Bereich zu, der äußerlich wichtig und mächtig ist. „Aber gerade dieser Unwichtige und Ohnmächtige  erweist sich als der wahrhaft Mächtige, als der, auf den letztlich alles ankommt.“

Und dann zieht Benedikt geradezu die Quintessenz aus 2 Jahrtausenden der Begegnung des Menschen mit Gott in Christus, aus vielen Jahrhunderten von Geschichten von Heiligen, Bekennern und Märtyrern: „So gehört zur Christwerdung das Hinausgehen aus dem, was alle denken und wollen, aus den herrschenden Maßstäben, um ins Licht der Wahrheit unseres Seins zu finden und mit ihm auf den rechten Weg zu kommen.“

Jesu Geburt geschieht in einem Stall, Maria legt das Neugeborene in eine Futterkrippe. Der Volksglaube hat Ochs und Esel dazugesellt, von denen der Evangelist nichts weiß. Sie erscheinen uns dabei geradezu als Sinnbild einsichtsferner Wesen, die im Angesicht dieses unscheinbaren Ereignisses zur Epiphanie gelangen. „In der Armseligkeit der Geburt Jesu zeichnet sich das Große ab, in dem sich geheimnisvoll die Rettung der Menschen vollzieht.“

Wir übergehen die Hirten und wie aus der unterschiedlichen Übersetzung von Lukas 2,14 (Luther: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“) das Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit sehr gegensätzlich gezeichnet werden kann. Doch bei der Darstellung Jesu im Tempel müssen wir kurz verweilen. Zum einen wegen der greisen Propheten Simeon und Hanna. Wir bringen nochmals Luther (Lukas 2,25ff.):

„Und siehe, ein Mensch war zu Jerusalem, mit Namen Simeon; und derselbe Mensch war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war in ihm. Und ihm war eine Antwort geworden von dem heiligen Geist, er sollte den Tod nicht sehen, er hätte denn zuvor den Christus des HERRN gesehen.

Und er kam aus Anregen des Geistes in den Tempel. Und da die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, daß sie für ihn täten, wie man pflegt nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:

HERR, nun läßt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast;
denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
welchen du bereitest hast vor allen Völkern,
ein Licht, zu erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volkes Israel.

Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich des, das von ihm geredet ward. Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser wird gesetzt zu einem Fall und Auferstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird (und es wird ein Schwert durch deine Seele dringen), auf daß vieler Herzen Gedanken offenbar werden.


Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuels, vom Geschlecht Asser; die war wohl betagt und hatte gelebt sieben Jahre mit ihrem Manne nach ihrer Jungfrauschaft und war nun eine Witwe bei vierundachtzig Jahren; die kam nimmer vom Tempel, diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries den HERRN und redete von ihm zu allen, die da auf die Erlösung zu Jerusalem warteten.“

Simeon ist fromm nach der Art Josefs. „Er lebt in der persönlichen Zuwendung zu Gott. Er ist innerlich dem Tempel nahe… Er lebt auf das Erlösende, auf das Kommende hin.“ Er ist ein geistlicher Mensch, und ein geistlicher Mensch ist ein wartender Mensch, wach für die endliche Gegenwart des Erhofften, offen für das Erscheinen Gottes.

Welch schöne Beschreibung. Aber auch dies gehört dazu – das „Zeichen, dem widersprochen wird“. Und jetzt noch einmal ein sehr langes Zitat:
„Wir alle wissen, wie sehr heute Christus Zeichen eines Widerspruchs ist, der im Letzten Gott selbst gilt. Gott selbst wird immer wieder als die Grenze unserer Freiheit gesehen, die beseitigt werden müsse, damit der Mensch ganz er selber sein könne. Gott steht mit seiner Wahrheit der vielfältigen Lüge des Menschen, seiner Eigensucht und seinem Hochmut entgegen.
Gott ist Liebe. Aber die Liebe kann auch gehasst werden, wo sie das Heraustreten über sich selbst hinaus fordert. Sie ist nicht romantisches Wohlgefühl. Erlösung ist nicht Wellness, ein Baden im Selbstgenuss sondern gerade Befreiung von der Verzwängung ins Ich hinein. Diese Befreiung kostet den Schmerz des Kreuzes.“

Und über Maria, nochmals: „Von Maria können wir das wahre Mitleiden lernen, ganz unsentimental im Annehmen fremden Leidens als eigenes Leid.“

Die Weisen aus dem Morgenland &

Nein, wir wollen nicht auch noch der Frage folgen, welcher Art die „Magier“ gewesen sein mögen, die den „König der Juden“ suchten und kamen, um ihn anzubeten. Und ebensowenig der Flucht nach Ägypten. Aber ein paar „beiläufige“ Fragen und Einsichten des Hl. Vaters können wir nicht vorenthalten. Die erste gilt dem Wesen des Religiösen:

„Die Ambivalenz des Begriffs Magier, auf die wir hier stoßen, zeigt die Ambivalenz des Religiösen als solchen auf. Es kann Weg zu wahrer Erkenntnis, Weg zu Jesus Christus hin werden. Wo es sich aber angesichts seiner Gegenwart nicht für ihn öffnet, sich gegen den einen Gott und den einen Erlöser stellt, wird es dämonisch und zerstörerisch.“

Das ist eine Eindeutigkeit, die sprachlos macht für einen kurzen Augenblick, und im nächsten Moment möchte man nur noch jubeln, weil alles verschmierte „Wir-wollen-doch-im-Grunde-alle-das-Gleiche“-Religiöse beiseite, entkleidet und abgetan wird, zu recht. Aber er wäre nicht der Papst, der er ist, wenn er nicht auch einen anderen Satz bereit hielte:

Die Magier „stehen für die innere Dynamik der Selbstüberschreitung der Religionen, die eine Suche nach Wahrheit, Suche nach dem wahren Gott und so zugleich Philosophie im ursprünglichen Sinn des Wortes ist. So heilt die Weisheit auch die Botschaft der 'Wissenschaft'“. Im Verstehen-Wollen des Ganzen erfährt die Vernunft ihre höchsten Möglichkeiten.

Wir übergehen ebenfalls den „Stern“ und seine Deutungen. Aber die Begegnung der Weisen mit Herodes und seinen „Schriftgelehrten“ bzw. deren Kommentierung, die müssen wir bringen: „Verwunderlich ist hingegen, dass die Kenner der Heiligen Schrift sich nicht zu praktischen Konsequenzen veranlasst sehen. Soll man vielleicht darin das Bild einer Theologie erblicken, die sich im akademischen Disput erschöpft?“

Dieser „beiläufige“ Seitenhieb gegen eine „akademische“ Theologie geschieht aus tiefer Kenntnis derselben, dieses ist nicht zu vergessen. Und so viele Irrwege man sich dabei heraussuchen könnte, blicken wir nur auf einen, die sogenannte „historisch-kritische Methode“.  Sie ist eine literaturkritische Methode und muß als solche etwas Lebendiges tot erscheinen lassen, um es sezieren zu können. Verengt man alles auf sie hin, landet man im geistlichen Nirwana (etwa eines Herrn Lüdemann).

Der Hl. Vater hat früher zu ihr folgendes angemerkt:
„Als historische Methode sucht sie den damaligen Geschehenszusammenhang auf, in dem die Texte entstanden sind. Sie versucht die Vergangenheit möglichst genau – so wie sie in sich selber war – zu erkennen und zu verstehen,… Soweit die historische Methode sich treu bleibt, muss sie das Wort nicht nur als vergangenes aufsuchen, sondern auch im Vergangenen stehenlassen. Sie kann darin Berührungen mit der Gegenwart, Aktualität ahnen, Anwendungen auf die Gegenwart versuchen, aber heutig machen kann sie es nicht – da überschritte sie ihr Maß. Gerade die Genauigkeit in der Auslegung des Gewesenen ist ihre Stärke wie ihre Grenze.

Damit hängt ein Weiteres zusammen. Als historische Methode setzt sie die Gleichmäßigkeit des Geschehenszusammenhangs der Geschichte voraus, und deshalb muss sie die ihr vorliegenden Worte als Menschenworte behandeln. Sie kann bei sorgfältigem Bedenken wohl den »Mehrwert« erahnen, der in dem Wort steckt, eine höhere Dimension sozusagen durch das Menschenwort irgendwie hindurchhören und so die Selbsttranszendierung der Methode eröffnen, aber ihr eigentlicher Gegenstand ist das Menschenwort als menschliches."

Epilog

„Und da er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf gen Jerusalem nach der Gewohnheit des Festes. Und da die Tage vollendet waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb das Kind Jesus zu Jerusalem, und seine Eltern wußten's nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Gefreunden und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wiederum gen Jerusalem und suchten ihn.

Und es begab sich, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antworten. Und da sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Seine Mutter aber sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.

Und er sprach zu ihnen: Was ist's, daß ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, das meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete. Und er ging mit ihnen hinab und kam gen Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“
Lukas 2, 42ff. (nach Luther)

Dieses, letzte Kapitel widmet sich dem zwölfjährigen Jesus im Tempel. Jesus nimmt teil an der Wallfahrt zum Pascha-Fest und geht quasi „verloren“, da er nicht mit seinen Eltern zurückkehrt, sondern sich stattdessen im Tempel mit den „Gelehrten“ unterhielt. Den entgeisterten Eltern hält er entgegen, was oben zu lesen ist.

In der Geschichte vom Zwölfjährigen begegnet uns ein Wetterleuchten des Kommenden. Jesus wächst auf, eingewurzelt in eine reale menschliche Biographie, er nimmt zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen. Schon hier beginnt das Ineinander von Mensch und Gott, das wir glauben, aber nur schwerlich verstehen können.

Benedikt schreibt in dieses Erstaunen hinein: „Die Worte Jesu sind immer wieder größer als unser Verstand. Immer wieder übersteigen sie unsere Einsicht. Die Versuchung, sie zu verkleinern, sie auf unsere Maße zurechtzubiegen, ist begreiflich. Zur rechten Auslegung gehört gerade die Demut, diese uns oft überfordernde Größe stehen zu lassen, nicht Jesu Wort zu verkleinern mit der Frage, was wir ihm 'zutrauen' dürfen. Er traut uns Großes zu. Glauben heißt, sich dieser Größe zu unterwerfen und langsam in sie hineinzuwachsen.“

Und nur ein kurzer Satz zum Autor. Mit Bedauern mußte man mitansehen, durch welche Untiefen der Hl. Vater letztens hindurchwaten mußte. Daß er seine Enttäuschungen und Kämpfe in solch ein „kleines“ Buch zu verwandeln vermochte, dafür sind wir dankbar. Und ebenso für das merkwürdige Empfinden, das er uns gewährte, nicht einfach einen neuen religiösen Autor zu lesen, sondern einen weiteren Kirchenvater.

Dein Gott wird dein Glanz sein.
Jesaja 60,19

beendet am 21. Dezember

2 Kommentare:

Walter A. Aue hat gesagt…

Lovely Gaelic interpretation by Loreena McKennitt, so much better than blaring trumpets, so much more in keeping with the emotion of Christmas!

MartininBroda hat gesagt…

Ja, ich mag ihre Interpretationen seit vielen Jahren (und da dieser Beitrag nicht fertig ist, werde ich vielleicht noch etwas von ihr hinzufügen). Seit einer Reihe von Tagen habe ich übrigens den Text von "Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading" vor meinen Augen (Sie erinnern sich möglicherweise, der Wilde - Post), aber es mag mir einfach nichts Mitteilenswertes einfallen, ich habe auch lange einen großen Bogen gemacht, um dieses Gedicht.