Mittwoch, 22. Januar 2014

Von und über Matthias Claudius, der andere Teil

Gedenkstein für Matthias Claudius im Wandsbeker Gehölz

Nachdem der gestrige Beitrag wie Hefeteig immer größer wurde, nun der andere Teil, der vor allem Claudius' Verhältnis zur Aufklärung erhellen soll (soweit mir das gelingen mag). Das Biographische wollen wir nur kurz streifen:

Geboren wurde Claudius am 15. August 1740 in Reinfeld. Aus einer alten Pfarrersfamilie stammend, hat er diesen vorgezeichneten Weg zwar kurz beschritten (er wechselte noch zur Juristerei, brachte es dort aber bloß zum „Iuris Utriusque Baccalaureus“), es aber bald vorgezogen, sich als freier Schriftsteller und Journalist durchzuschlagen. Anekdotisch wird gern berichtet, wie er in die nüchternen Meldungen seines Wandsbecker Boten typischerweise auch das Nachfolgende einrückte: „Wandsbeck, den 25. April. Gestern hat hier die Nachtigall zum erstenmal wieder geschlagen.“

Als fest angestellter Redakteur arbeitet er nur von 1768 bis 1775, die Tätigkeit für den „Wandsbecker Bothen“ machte ihn bekannt, zumal er eine Reihe namhafter deutscher Geistesgrößen für das Blatt gewinnen konnte, das so von einem Lokalblatt zu einer nationalen Berühmtheit avancierte, nur leider ohne dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg.

In Wandsbeck ehelichte Claudius 1772 die sehr junge Tochter des örtlichen Zimmermanns Anna Rebecka Behn, sie gebar ihm 12 Kinder, die Verbindung war offenkundig glücklich. Die durch Herder vermittelte Anstellung 1776 als Obercommissarius in Darmstadt scheiterte bald, und er kehrt nach Wandsbeck zurück, um fortan als freier Autor zu leben und unter dem Namen seiner alten Zeitung zu veröffentlichen.

Claudius' finanzielle Lage wurde erst ab 1785 sicherer, als ihm der dänische Kronprinz Friedrich einen Ehrensold gewährte und wenige Jahre später eine kaum in Anspruch nehmende Stelle bei der Speciesbank in Altona verschaffte. 1813 verließ er wegen der Kriegswirren seinen Heimatort und hielt sich zuletzt bei seinem Schwiegersohn, dem Verleger Friedrich Christoph Perthes in Hamburg auf, wo er am 21. Januar 1815 starb.

[Anm: Wie ich zugeben muß, stehe ich der Freimaurerei fern, um das mindeste zu sagen, wem dies aber zu knapp war, eine, wenn auch stark aus freimaurerischer Sicht, doch recht ausführlich, vor allem auch sehr warmherzig geschriebene Lebensbeschreibung findet sich hier.]

Grab von Matthias Claudius und seiner Frau, 
Historischer Friedhof Hamburg-Wandsbek

Es gibt Menschen, die stellen sich klug, und es besteht die seltenere Variante, daß sich jemand schlicht stellt, worauf dann etwa ein Goethe in seiner Eitelkeit nur zu gerne hereinfallen will. Warum das, rätseln wir nun: Ist es eine Art Spiel, intellektuelle Barmherzigkeit, Entgegenkommen, Demut? Vielleicht von all dem etwas, aber das ist auch nur ein Satz, hinter dem tatsächlich Verlegenheit steckt. Wir wissen es mitunter einfach nicht. Unaufrichtigkeit war es jedenfalls keinesfalls. Möglicherweise war es einfach eine herrliche Subversionsstrategie gegenüber all diesen von sich selbst besoffenen Herrschaften.

Matthias Claudius wurde von den literarischen Halb- und Viertelgöttern, deren Zeitgenosse er äußerlich war, ganz überwiegend allenfalls mit freundlicher Herablassung betrachtet, wenige blieben ihm aufrichtig freundschaftlich verbunden, obwohl er die meisten persönlich kannte. Der fromme Familienvater, Dichter und Journalist war ein Mann von geradem Charakter, natürlicher Sprechart, unprätentiösem Auftreten und dabei von profunder Bildung, die er aber durchaus nicht als „Bauchladen“ vor sich her tragen mochte. Herder hat überwiegend freundlich von ihm gesprochen, der so andere Lessing blieb ihm in allen Differenzen gewogen. Von Eichendorffs Urteil haben wir im vorigen Beitrag ausführlich zitiert, die Romantiker sahen ihn sowieso generell eher auf ihrer Seite.

Man hat gesucht, ihm die sich widersprechendsten Etiketten anzuheften – man nannte ihn einen Aufklärer und Volksfreund, anderen blieb er ein reaktionärer Fürstenknecht, dazu gesellen sich diejenigen, die einen pietischen Frömmler und altbackenen Hausdichter vor sich sehen, wieder andere finden in ihm bis ans Ende den freimaurerischen Bruder (er selbst nannte sich wohl sogar einmal einen „eklektischen Mystiker“). Man könnte es fortsetzen, wenn es nicht so müßig wäre. Denn keine von diesen Uniformen will ihm recht stehen.

Einen Aufklärer mag man ihn insofern nennen, als ihm unvernünftige Zustände, die Menschen zu Unrecht bedrückten, ohne Ansehen der Person zuwider waren. Aber Rationalismus in der Religion, den verachtete er und sah seine Haltlosigkeit als einer der ersten kristallklar. Ein Thema, das uns leider bis heute beschwerlich fällt. Ein Benedikt XVI. dürfte ihm aus vollstem Herzen zustimmen.

Claudius entlarvt als eitel anmaßende Selbstgefälligkeit, wo die Vernunft sich durch ihre selbsternannten Exponenten absolut setzt. Vernunft gehört in die Schranken der Erfahrung, dort hat sie ihre Würde und ihr Recht. Greift sie jedoch in die Sphäre des Glaubens über, wird sie zur Selbstermächtigung, macht sich zum Götzen und aus den Menschen lauter kleine konkurrierende Göttlein. [Nur als Anmerkung: Darüber ließe sich wohl einiges sagen, weil der Glaube in seiner Entfaltung natürlich schon der Vernunft bedarf, aber Ursprung und Ziel von Religion sind ihrem Richterstuhl entzogen, hier hat Claudius völlig recht, da wildert sie auf einer Weide, die ihr nicht angehört und wo ihr auch die Ortskenntnis völlig abgeht, aber er sagt das alles viel unterhaltsamer, daher jetzt eine längere Passage von ihm (aus „Eine Korrespondenz zwischen mir und meinem Vetter“, zum vollständigen Text gelangt man durch diesen Link) und nachfolgend ein Gedicht].

Wandlung des Straßburger Münsters in einen „Tempel der Vernunft“

„Aber, ob es vielleicht mehr als eine Vernunft gibt, ich kann in die heurige mich nicht finden. Sie nennen Dinge vernünftig, die ich unvernünftig, und Dinge unvernünftig, die ich vernünftig finde. Da bin ich nun zwischen Tür und Angel, und weiß nicht: ob ich eine unvernünftige Vernunft, oder eine vernünftige Unvernunft vorziehen soll. Als zum Exempel, da haben sie das bekannte Ding von der permanenten Aufklärung, und daß von nun an alles mit Vernunftgründen getrieben und gezwungen werden soll. Das Ding scheint mir gar artig und bequem und ich habe es so gerne begreifen wollen; aber ich kann es nicht begreifen. Das kann ich wohl begreifen, daß Vernunftgründe da hingehören, wo sie hingehören; aber das kann ich nicht begreifen, daß sie da hingehören wo sie nicht hingehören, und ich komme immer darauf zurück: wo sie nicht dienen, da gehören sie nicht hin, und wo sie nicht hingehören, was sollen sie da?“

„Der Herr Vetter mag nun sagen, wer recht hat: der, der sich klug dünkt; oder der, der sich dumm stellt? Und ob alte Leute nicht Kinder- und Kälbermaß wissen müssen usw. Und soviel von dem ersten Punkt, oder von Aufklärung und Aberglauben.

Der zweite Punkt betrifft Glauben, und den allgemeinen Sturm, den die Vernunft itziger Zeit auf geoffenbarte Religion läuft. Und da habe ich mich bei Ew. Hochedelgeborn gehorsamst erkundigen wollen: ob es damit auch wohl Not haben sollte?

Ich zwar kann es mir kaum einbilden. Denn sieht der Herr Vetter, ich habe, sans compraison, nur ein Geheimnis: Dinte zu machen, und das ist ja nur ein kleines und schlechtes Geheimnis; alle Welt macht Dinte. Aber laß die Vernunft mir doch einmal a priori mein Rezept raten. Und was einer nicht raten kann und nicht weiß, darüber kann er, dünkt mich, doch eigentlich nicht urteilen und richten.

Doch die Vernunft soll so überaus kunstreich sein, daß sie das kann. Nun so mag sie denn beweisen und bewiesen haben, so viel sie will: daß meine Kunst Dinte zu machen nicht tauge, und daß es gar solch eine Kunst nicht gebe. Aber was geht das mein Rezept an? Hab ich's darum weniger? Und wird es darum keine gute Dinte machen? – Und doch will die Vernunft über das Geheimnis der Religion richteln!

Und wenn der Schäker noch was Bessers an ihrer Stelle zu geben hätte. Aber das fehlt viel.
Was sie »natürliche Religion« nennen, ist wohl eine feine äußerliche Zucht, aber es ist nicht würdig und wohlgeschickt.

Dem Menschen muß etwas wahr und heilig sein! Und das muß nicht in seinen Händen und nicht in seiner Gewalt sein; sonst ist auf ihn kein Verlaß, weder für andre noch für ihn selbst. Was soll doch einer für Furcht vor Götter haben, die er selbst inventiert und gemacht hat? Und was kann er von ihnen für Trost erwarten?“

„Und nun zum Beschluß noch eine Frage: Soll ich meine Kinder die »kritische Philosophie« studieren lassen oder nicht studieren lassen? Die Meinungen über diese Philosophie sind so verschieden. Einige sagen, daß sie von nichts zu etwas, und andre wieder, daß sie von etwas zu nichts führe. Nun ist mir das Nichts von jeher in der Seele zuwider gewesen, und ich habe nie können recht dahinterkommen, was es eigentlich für ein Ding ist.“

Daniel Chodowiecki, 
"Natürliche und affektierte Handlungen des Lebens" 

Urians Nachricht von der neuen Aufklärung, oder Urian und die Dänen

URIAN:

Ein neues Licht ist aufgegangen,
Ein Licht, schier, wie Karfunkelstein!
Wo Hohlheit ist, es aufzufangen,
Da fährt's mit Ungestüm hinein.
Es ist ein sonderliches Licht;
Wer es nicht weiß, der glaubt es nicht.

DIE DÄNEN:
Erzähl Er doch von diesem Licht!
Was kann es? Und was kann es nicht?

URIAN:
Erst lehrt es euch die Menschenrechte.
Seht, wie die Sache euch gefällt!
Bis jetzo waren Herr und Knechte,
Und Knecht und Herren in der Welt;
Von nun an sind nicht Knechte mehr,
Sind lauter Herren hin und her.

DIE DÄNEN:
Sind also keine Knechte mehr!
Sind alles Herren hin und her!

URIAN:
Sonst war Verschiedenheit im Schwange,
Und Menschen waren klug und dumm;
Es waren kurze, waren lange,
Und dick und dünne, grad und krumm.
Doch nun, nun sind sie allzumal
Schier eins und gleich, glatt wie ein Aal.

DIE DÄNEN:
Nun aber sind sie allzumal
Schier eins und gleich, glatt wie ein Aal!

URIAN:
Man nannte Freiheit bei den Alten,
Wo Kopf und Kragen sicher war,
Wo Ordnung und Gesetze galten,
Und niemand krümmete kein Haar.
Doch nun ist frei, wo jedermann
Radschlagen und rumoren kann.

DIE DÄNEN:
Doch nun ist frei, wo jedermann
Radschlagen und rumoren kann!

URIAN:
Vernunft, was man nie leugnen mußte,
War je und je ein nützlich Licht.
Indes was sonsten sie nicht wußte,
Das wußte sie doch sonsten nicht.
Nun sitzt sie breit auf ihrem Steiß,
Und weiß nun auch, was sie nicht weiß!

DIE DÄNEN:
Das macht sie gut! ... auf ihrem Steiß –
Und weiß nun auch, was sie nicht weiß!

URIAN:
Religion war hehre Gabe
Für uns bisher, war Himmelbrot;
Und Menschen gingen drauf zu Grabe:
Sie sei, und komme her, von Gott.
Nun kommt sie her, weiß selbst nicht wie? –
Man saugt nun aus dem Finger sie.

DIE DÄNEN:
Nun kommt sie her, wir wissen, wie?
Sie saugen aus dem Finger sie.

URIAN:
Auch wißt ihr wohl vom Potentaten,
Wie der großmächtiglich regiert,
Und wie, ohn Streit und Advokaten,
Dem Szepter Ehr und Furcht gebührt.
Doch nun ist Szepter gar nicht viel,
Nicht besser, als ein -stiel.

DIE DÄNEN:
Uns ist und bleibt der Szepter viel!
Euch lassen wir den – andern Stiel.
Wir fürchten Gott, wie Petrus schreibet,
Und ehren unsern König hoch.
Was Wahrheit ist, und Wahrheit bleibet
Im Leben und im Tode noch;
Das ist uns heilig, ist uns hehr!
Ihr Fasler, faselt morgen mehr.

SCHLUSSCHOR:
Was himmelan die Menschen treibet;
Sie besser macht; was Probe hält;
Was Wahrheit ist und Wahrheit bleibet
Für diese und für jene Welt;
Das ist uns heilig, ist uns hehr!
Ihr Fasler, faselt morgen mehr.


geschrieben am 23. Januar

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