Samstag, 2. Februar 2013

Über Reiche und Namen

Azulejos in Gilmonde, Barcelos, Portugal

Ich hatte Nachträge versprochen, beginnen wir also mit „Mariä Lichtmeß“, bekannt auch als „Darstellung des Herrn“ oder „Mariä Reinigung“. Im letzten Jahr hatte ich einen Beitrag des Herrn Roloff dazu gebracht. Früher galt dieses Fest in der katholischen Tradition als das Ende der Weihnachtszeit, bevor das vielgerühmte 2. Vaticanum auch dieses über den Haufen warf. Warum sich Maria reinigen mußte, mag man hier nachlesen.

Wie ich schon irgendwo gesagt habe, gehört es zum innersten Wesen des menschlichen Geistes, den Dingen wie der Zeit Namen zu geben. Nicht allein, daß er sich so die Welt quasi bewohnbar macht, er legt gewissermaßen eine Spur, begründet Wege, auf denen sich nachfolgende Generationen eines Raumes vergewissern können, den man hilfsweise mit Kultur, Lebensart, der Barbarei abgetrotzte Lebenssphäre umschreiben könnte. Wer die Namen abschafft, hat bereits vergessen, worin er lebt. Er trägt ab, wo andere gebaut haben.

Heiliges Römisches Reich 1648

Wo wir gerade bei Vergessenem sind. Dieser 2. Februar hat eine merkwürdige andere Bedeutung. Am 2. Februar 962 wurde Otto I. in Rom zum Kaiser gekrönt. Das weströmische Kaisertum, das Karl der Große erneuert hatte und nunmehr schon halb vergessen war, ging nun also auf den ostfränkischen Staat über und sollte mit ihm über 800 Jahre verbunden bleiben. Daher hat man dieses Datum gern als Geburtsstunde des später „Heiliges Römisches Reich“ genannten Gebildes genannt, später, nach seinem Untergang auch „Altes Reich“ (zu Otto I. habe ich kürzlich ein wenig Näheres geschrieben und zum Untergang des „Alten Reiches“ vor längerem hier).

Aber man kann den Beginn des Reiches auch auf Karl d. Großen setzten, und dann kommen wir auf handlichere 1000 Jahre bis zu seinem Ende. Wie ich mich in einem der o.g. Beiträge einmal gewundert hatte, ist der Staat, in dem die Deutschen die längste Zeit ihrer Geschichte lebten, erst seit wenig mehr als 200 Jahren untergegangen, und dennoch ist seine Präsenz im heutigen öffentlichen Bewußtsein marginal. Da ich seitdem ein wenig darüber nachgedacht habe (soweit mir das gegeben ist), sind wohl 3 verschiedene Brüche dafür verantwortlich.

Der erste trägt das Datum 1648. Die konfessionelle Spaltung Deutschlands führte das Reich in einen Abgrund von Krieg, aus dem es nur zutiefst beschädigt wieder herausfand, menschlich ausgeblutet, kulturell zurückgeworfen, sozial und wirtschaftlich zerrüttet. Die Karte dort oben gibt nur einen Überblick über äußere Verluste und Gefahren (Eidgenossenschaft und Niederlande aus dem Reichsverband ausgeschieden, im Norden hatten Dänemark und Schweden, wenn auch formal als Reichsfürsten, Gebiete unter ihre Herrschaft gebracht, im Westen nagten französische Begehrlichkeiten an der Reichgrenze, die sich die nächsten 1 ½ Jahrhunderte weiter gründlich austoben würden). Was die Karte nicht zeigt, ist, wie diese fast vollendete „Selbstzerstörung“ auch den geistigen Kern des „übernationalen“ Gemeinwesens getroffen hat. Es begann, zu einem Schatten seiner selbst zu werden, soviel barocke Pracht die auf seinem Gebiet Agierenden auch aufbringen mochten.

Karte des Deutschen Reiches 1871–1918

Das nächste wichtige Datum wäre vielleicht mit 1871 anzusetzen. Nachdem Deutschland über Jahrhunderte eher Schau- und Kampfplatz fremder Interessen war, zuletzt unter Napoleon (wenn man von Polen einmal absieht, aber das ist ein Thema für sich), findet die Mitte Europas wieder zusammen, aber in deutlichem Bruch zum Vorhergehenden. In gewisser Weise wurde der oben beschriebene Konfessionsgegensatz gelöst, indem das protestantische Preußen einen neuen Staat der Deutschen schaffte, diesmal aber als Nationalstaat, unter Ausschluß des katholischen Österreich.

Sowohl dem offiziellen Selbstverständnis als auch den Zeugnissen des allgemeinen Lebensgefühls läßt sich ablesen, wie man einerseits die Nähe der eigenen Geschichte suchte - in Bauten nacheifernd, tüchtig im Bewahren, Gedenken und Wiederherstellen, voluminöse erbauliche Volksbüchern lassen das Vergangene lebendig werden (ich blättere eben wieder in dem von mir schon oft erwähnten „Bildersaal deutscher Geschichte“ von 1890), bis dahin, daß das Oberhaupt des Reiches wieder „Kaiser“ hieß – andererseits blieb aber doch eine Distanz zum „Alten Reich“, weil das Selbstverständnis nunmehr ein gänzlich anders geartetes nationales war. Man wollte ein neues Reich wachsen lassen, und dessen unglaubliche Erfolge haben die Erinnerung an das, was 100 Jahre vorher nicht eben ruhmreich endete, wohl auch schnell verblassen lassen.

Auf dem Papier und juristisch mögen wir noch in dem Staat leben, der 1871 begründet wurde, aber die Katastrophe, die 1945 in gewisser Weise ihren Endpunkt fand (ich erspare uns eine Karte), hat erneut einen Bruch herbeigeführt, der mit kaum etwas anderem zu vergleichen ist. Ich habe früher einmal gesagt, dieses Land komme mir manchmal vor, wie ein afrikanischer Nationalstaat, der seine koloniale Vergangenheit am liebsten auslöschen möchte. Ich habe wenig Neigung, mich über die Gegenwart zu äußern und darüber, wie lange dieses neurotisch - aggressive Verhalten zum Eigenen und zur eigenen Geschichte von weit über 1000 Jahren wohl anhalten wird (wie es so schön heißt, Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen). Deutlicher aber dürfte geworden sein, daß gleich mehrere Hürden zu überwinden sind, wenn man in die Erinnerung an das eintauchen will, was einmal das „Sacrum Romanum Imperium Nationis Germanicae“ war, das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“.

Banner des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation ab 1410

nachgetragen am 6. Februar

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