Sonntag, 29. September 2013

St. Michael


J. S. Bach, BWV 19, "Bleibt ihr Engel"

Wie es aussieht, scheint uns der Schlaf heute Nacht zu fliehen, und damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, daß ich am Tag des Erzengel Michael (!), dem Bezwinger Satans, Anführer der himmlischen Heerscharen, Hüter des Paradieses, Schutzherrn des Heiligen Römischen Reiches, einem Gottesdienst beiwohnen werde. Zum Glück hat mir Herr Roloff bereits seine Predigt für diesen Sonntag zugeschickt, die ich, diesmal etwas vorzeitig, auch um das schlechte Gewissen einzuschläfern, jetzt anbringen will. Eine sehr schöne Stelle darin lautet wie folgt:

„Nach meiner Überzeugung sind Engel nichts anderes als Gestalt gewordenes Vertrauen auf Gott. Die Engel sind die vollkommene Fülle gegenwärtigen Vertrauens. Gerade darum sind sie unüberwindlich, sie sind stark, weil ihnen das Böse nichts mehr anhaben kann, weil sie alles Böse durch ihr Vertrauen zu Gott überwinden.“

Die Predigt wird sogleich folgen, vorher will ich nur anmerken, daß die vorjährigen Beiträge hier aufzufinden sind, wo man auch sogleich feststellen kann, daß ich dieses Bachstück schon letztes Jahr anbrachte, ich mag es aber nun mal.

Menologion des Kaisers Basileios II., Erzengel Michael

Predigt zum Michaelisfest 2013

Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesu und sprachen: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?  Jesus rief ein Kind zu sich und stellte das mitten unter sie und sprach: Wahrlich ich sage euch: Es sei denn, daß ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.
Wer nun sich selbst erniedrigt wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. Wer aber ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre es besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft werde im Meer, da es am tiefsten ist...
Sehet zu, daß ihr nicht jemand von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit in das Angesicht meines Vaters im Himmel.
Mt 18, 1-6.10

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

dieser Text gibt uns nach meiner Überzeugung auf, zwei Fragen zu klären! Zum einen die Frage: Was sind Kinder? Zum anderen die Frage: Was sind Engel? Auf diese Fragen jedenfalls kommt man, wenn man Jesus zuhört, nachdem auch er auf eine Frage reagiert. Die Jünger waren nämlich an ihn herangetreten und wollten wissen: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?

Die Frage ist ernüchternd und befreiend zugleich. Sie ist ernüchternd, weil sie uns Einblick gibt in die Gedankengänge der Jünger. Darüber also machen sie sich Gedanken, wer wohl der Größte im Himmelreich ist. Anstatt die Gegenwart des Herrn wirken zu lassen, um in der Beziehung zu ihm wachsen und zum eigenen Wesen vordringen zu können, sehen sie in dieser Gemeinschaft vielleicht nur so etwas wie die Vorbereitung einer „himmlischen Karriere“. Karrieren haben oft den merkwürdigen Zug, dass man weniger das eigene Fortkommen schätzt, als das man dem anderen das seine neidet. Da mache sich ein jeder seine eigenen Gedanken.

Befreiend ist die Frage aber, weil wir sehen, dass wir mit unserer Gemeinde und ihren Unzulänglichkeiten, mit ihren Unvollkommenheiten so viel hinter der Wirklichkeit der Jünger nicht zurückbleiben. Die christliche Kirche ist nie so schwach, wie man es ihr manchmal einredet. Sie steht einfach nur in der Tradition der Jünger und damit eben auch in der Tradition von ihren Unzulänglichkeiten.

Die Antwort Jesu auf die Frage der Jünger nach dem Größten im Himmelreich sieht darum auch in mehrfacher Weise paradox aus.

Er stellt ein Kind unter sie. Die Jünger sollen umkehren und wie die Kinder werden, sonst würden sie nicht ins Himmelreich kommen und das trotz ihrer scheinbaren Nähe zu Christus. Wer sich erniedrigt, wie das Kind, wer sich also klein macht, wie das Kind es ist, der ist der Größte im Himmelreich, und wer ein solches Kind aufnimmt, der nimmt Christus auf.

So sind auch die Kinder unter uns! Wir haben zum Glück immer eine schöne Zahl Kinder unter uns beim Gottesdienst. An ihnen sollen wir uns nun nicht nur ein Beispiel nehmen, sondern wir sollen werden wie sie.

Da kommen wir also wieder zu unserer Frage: Was sind Kinder?

Nach meiner Beobachtung ist das Entscheidende an Kindern diese unglaubliche Fähigkeit, erfahrungslos zu vertrauen. Kinder können naturgemäß weder mit ihren Eltern noch mit anderen Menschen Erfahrungen gemacht haben und schließen sich ihnen doch vorurteilsfrei und vertrauensvoll an. Das ist so natürlich und schön, dass es uns oft gar nicht auffällt, und es ist dennoch ein Wunder. Es ist ein Schimmer von dem, was Gott bezeichnet hat, als er davon sprach, dass alles sehr gut ist.

Das wird uns im Verhältnis von Eltern und Kindern leider immer erst in der ganzen Dramatik klar, wenn sich Eltern oder andere Menschen dieser Liebe und dieses Vertrauens als nicht würdig erweisen. Selbst misshandelte und gequälte Kinder drängen doch meistens wieder zu den Eltern zurück. Lieber reden sich die Kinder ein, dass die Strafen, die sie zu Unrecht erleiden, gute Gründe haben, als dass sie die Beziehung zu den Menschen aufgeben, die ihnen Eltern sein sollen. Kinder vermuten immer zuerst, sie haben etwas falsch gemacht, wenn ihnen das Böse begegnet. Das macht derartige Ereignisse so ganz besonders verachtenswert. Darum wohl schreibt auch der Evangelist davon, dass wer ärgert dieser Geringsten einen, oder anders übersetzt, wer einen von diesen Kleinen zum Bösen führt, dem wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft werde im Meer, da es am tiefsten ist. Die Bibel scheut sich nicht vor drastischen Worten, wo sie notwendig sind.

Umso wunderbarer ist es aber, wo dieses kindliche Vertrauen auf die unwandelbare Liebe seiner Eltern trifft.

Um dieses kindliche Vertrauen geht es in unserem Predigttext. Das ist die größte Gabe, die Kinder in die Welt tragen, dass sie sich allem vertrauensvoll zuwenden und dadurch Brücken schlagen.

Wir Erwachsenen haben es gelernt, davor angst zu haben. Bevor wir uns einer Sache oder gar einem Menschen zuwenden, wollen wir ein klares Urteil haben und trennen uns doch in unserem Urteil unüberbrückbar vom Gegenüber ab.

Jesus will uns zurückführen zum ursprünglichen kindlichen Vertrauen. Das erst befähigt uns zu dem unbekümmerten Wandel, von dem im Evangelium (Lk 10) die Rede war. Das befähigt uns dazu, die Schuhe auszuziehen und zu beten, wie es uns in der alttestamentlichen Lesung (Jos 5) von Josua erzählt wird.

Das Entscheidende an der Gabe des kindlichen Urvertrauens ist es nämlich auch gar nicht, dass es eine so einzigartige Beziehung zu den Eltern herzustellen vermag. Das ist auch schön und wunderbar, und es ist für die Eltern eine Erfahrung die sie lebenslang dankbar und glücklich machen sollte.

Das Entscheidende ist, dass diese Art von Vertrauen eine Beziehung zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Menschen stiftet.

Genau hier stehen wir vor unserer zweiten Frage: Was sind Engel?

Nach meiner Überzeugung sind Engel nichts anderes als Gestalt gewordenes Vertrauen auf Gott. Die Engel sind die vollkommene Fülle gegenwärtigen Vertrauens. Gerade darum sind sie unüberwindlich, sie sind stark, weil ihnen das Böse nichts mehr anhaben kann, weil sie alles Böse durch ihr Vertrauen zu Gott überwinden.

Und es gibt eine tiefe Bindung zwischen diesen Engeln und dem Vertrauen der Kinder, von dem wir hier reden. Matthäus bringt es mit der Wendung zum Ausdruck: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit in das Angesicht meines Vaters im Himmel.

Es ist, als würde für einen kleinen Moment gleichsam die Architektur von Gottes Welt sichtbar, weil dort eine Verbindung besteht zwischen unserer Welt und der seinen. Noch besser gesagt, unsere Welt wird gerade dadurch wieder und wieder zu der seinen, wenn wir vertrauensvoll auf ihn blicken, weil er alles geschaffen hat. Das Vertrauen auf Gott erschafft und durchdringt, erhält und beseelt die Welt.

Die Vorstellungen der Menschen von den Engeln sind vielfältig. Wenn wir aber als Kirche an sie erinnern, ihr Wirken für wahr halten, mit ihnen hoffen und beten, dann wollen wir uns damit immer und vor allem an ihre verkündende, heilende und kämpfende Macht anschließen. Vor allem wollen wir selbst zu glaubwürdigen Boten werden, die ihrem Gott fest vertrauen und von ihm Zeugnis ablegen.

Amen

Wir beten mit Worten von Papst Leo XIII.:

„Heiliger Erzengel Michael,
verteidige uns im Kampfe;
gegen die Bosheit und die Nachstellungen
des Teufels, sei unser Schutz.
‚Gott gebiete ihm‘, so bitten wir flehentlich;
du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen,
stoße den Satan und die anderen bösen Geister,
die in der Welt umherschleichen,
um die Seelen zu verderben,
durch die Kraft Gottes in die Hölle.
Amen."

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn.

Amen
Thomas Roloff

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