Donnerstag, 18. Juni 2009

Rilke oder Dichtung als Selbsttherapie


Grab von Rainer Maria Rilke, Raron, Kanton Wallis, Schweiz
Photograph: Peter Berger, hier gefunden

Ich bin vor einiger Zeit einmal gefragt worden, ob ich etwas Erhellendes zu einigen von Rilkes Duineser Elegien schreiben könnte. Offen gestanden, lag mir die Antwort nahe, nein kann ich nicht. Aber ihn zu lesen und dann zu sagen, ich habe nichts zu ihm zu sagen, wäre auch wiederum ein unangenehmes Eingeständnis, ja wovon eigentlich gewesen. Daß Rilke oft dunkel ist, schwierig, vieldeutig, verworren ist wie ein keltisches Flechtornament? Er hat kaum, denke ich, aus Eitelkeit so geschrieben, sondern weil er etwas Dunkles, Tiefes sagbar machen wollte, es in die Sprache heben und ihm dabei Gestalt geben. Und man kann nicht etwas Wesentliches aussagen und davon unverwandelt bleiben.

Rilke hat selbst behauptet, seine Dichtung sei „eigentlich nichts anderes als eine … Selbstbehandlung“. Sie ist sicher auch noch einiges darüber hinaus, aber gerade für die 3. Duineser Elegie gilt dies schon sehr stark. Interessanterweise stand er in engem Kontakt mit den Pionieren der Psychoanalyse, ohne sich selbst je behandeln zu lassen.

„Aber daß für mich nichts verhängnisvoller, tödlicher wäre, als mich den Einflüssen einer solchen Behandlung … auszusetzen: das war mir da, zum Glück, schon völlig klar geworden. Jemehr ich von den Absichten, Erfolgen und Fortschritten der Analyse erfuhr, desto besser mußte ich einsehen, daß sie geradezu wie Zersetzung wirken müßte in einem Dasein, das ja doch seine stärksten Antriebe eben darin hatte, daß es sich nicht kannte, daß es durch sein eigenes schweres und seeliges Geheimnis mit allen Geheimnissen der Welt ja mit Gott selber, unerschöpflich zusammenhing und von dorther geheim und großmüthig erhalten wurde.“ (Brief vom 21. 2. 1914)

Stattdessen hat er die 3. Duineser Elegie geschrieben: Zunächst wird in der Abwehr jeder Romantik in ihr der verborgene schuldige „Fluß-Gott des Bluts“ angesprochen, die triebhafte, sexuelle, unbewußte, tiefere Natur des Menschen, um dann davon zu reden, wie diese Natur vertraut gemacht werden kann, nicht verdrängt, nicht abgetötet, nicht sublimiert. In der Antike konnte dies der Mythos leisten, heute ruft er die Kunst an, es zu beschwören.

„Vieles verbargst du ihm so; das nächtlich-verdächtige Zimmer
machtest du harmlos, aus deinem Herzen voll Zuflucht
mischtest du menschlichern Raum seinem Nacht-Raum hinzu…
Nirgends ein Knistern, das du nicht lächelnd erklärtest,
so als wüßtest du längst, wann sich die Diele benimmt . . .
Und er horchte und linderte sich…“

Hier ist es das Kind, dem über das Grauen, auch das innere Grauen, durch die Mutter hinweggeholfen wird (von der es aber auch heißt, „du machtest ihn klein“). Das Kind, dem sich dann sein Inneres aufschließt, und es betrachtet fasziniert, was es sieht:

„Wie er sich hingab -. Liebte.
Liebte sein Inneres, seines Inneren Wildnis,
diesen Urwald in ihm, auf dessen stummem Gestürztsein
lichtgrün sein Herz stand. Liebte. Verließ es, ging die
eigenen Wurzeln hinaus in gewaltigen Ursprung,
wo seine kleine Geburt schon überlebt war. Liebend
stieg er hinab in das ältere Blut, in die Schluchten,
wo das Furchtbare lag, noch satt von den Vätern. Und jedes
Schreckliche kannte ihn, blinzelte, war wie verständigt.
Ja, das Entsetzliche lächelte . . .
… Wie sollte
er es nicht lieben, da es ihm lächelte.“

Die Liebe gehört ganz in diesen alten Bereich hinein, sie wühlt dessen Tiefen auf und sie macht, wo sie besteht, das Fremde vertraut. Darum auch werden Menschen in der Liebe bedeutsam, weil sie an das Tiefere rühren (und werden gewöhnlich, wenn sie wieder versandet). Darum fordert die Elegie schließlich das „Mädchen“ auf, diese auch gewaltsamen Tiefen zu besänftigen.

…. O leise, leise,
tu ein liebes vor ihm, ein verläßliches Tagwerk, - führ ihn
nah an den Garten heran, gieb ihm der Nächte
Übergewicht . . . . . .
Verhalt ihn . . . . . .“

Warum aber „Elegie“, also Klagegesang? Nun es ist eine Klage. Die Klage über die Unfähigkeit, so zu lieben, daß das, was im Innern angelegt ist, zu wahrhafter Erfüllung und Entfaltung gelangt, eine Klage über das Scheitern daran, sich ganz dem eigenen Fühlen hinzugeben, das Innere aufzuschließen und ihm zu vertrauen.

Soweit mein Versuch, es gibt unzählige bessere Deutungen, aber vielleicht hat diese Rilke ein wenig lesbarer gemacht, für wen auch immer, der Text der 3. Duineser Elegie findet sich hier.

5 Kommentare:

Pilgrim hat gesagt…

It is a fair comment to No.3, but I guess I meant No.4. Anyway thx for another fine post. Propz Pilgrim...p.s., how about Gottfried Benn? Or a double feature Benn-Else Lasker Shueler?

Pilgrim hat gesagt…

Btw, it´s Valois, Valais.

MartininBroda hat gesagt…

First: Thanks. Then: "Could you do a post on zhe "Duineser Elegies" no.3 or 4?"
:-)
Third, you're greedy. Even if I like Else-Lasker Schüler indeed, no more promises. And last: actually it's Wallis or Valais, so you're right in this point. Thanks.
Good recovery.

Pilgrim hat gesagt…

´kay, maybe , but I´d call it desiring. :-p E.L-S. wrotr a couple of poem to Benn, that´s the connection. I f you mind to consider my idea. I´m mo than happy(?) to know such a literate person as you, Martin.

MartininBroda hat gesagt…

When I wrote the today post, I thought I’m nearly illiterate. The connection between both is indeed famous, we’ll see (no promise!). I try to understand the question mark, a misunderstanding?

I hope you’re drinking enough.

:-)