Sonntag, 1. November 2015

Allerheiligen

Mariotto Albertinelli (1503), Heimsuchung

Schon wieder ein religiöser Text? Ja, tut mir leid, es ist die Jahreszeit. Und Herr Roloff hat gepredigt. Gestern wollte ich eigentlich gar nicht so viel machen, aber dann ist mir die Galle übergekocht, und ich sage nach einem Tag des Nachdenkens noch mehr, zurecht. Man muß es nicht lesen.

Allerheiligen ist ein wunderbares Fest. Es böte sich an, etwas darüber zu schreiben, was Luther von ihnen hielt, den Heiligen; das ist komplexer, als zu erwarten, und man bedenke, er sah sich als derjenige, der die Kirche vor dem Abgrund aufzuhalten habe, da ist man nicht so subtil. Und ich glaube noch immer, daß darin keine Anmaßung lag.

Einer der Texte, der mich bei Kermani ärgerte, war der über Mariotto Albertinellis Heimsuchung, also der Begegnung von Maria und Elisabeth. Es geht um Lukas 1, 39ff. Ach wir bringen einfach den ganzen Text:

Maria aber stand auf in den Tagen und ging auf das Gebirge eilends zu der Stadt Juda's und kam in das Haus des Zacharias und grüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth ward des heiligen Geistes voll und rief laut und sprach: 

Gebenedeit bist du unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Und woher kommt mir das, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Siehe, da ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte mit Freuden das Kind in meinem Leibe. Und o selig bist du, die du geglaubt hast! denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn.

Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilands; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder; denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und des Name heilig ist.

Und seine Barmherzigkeit währet immer für und für bei denen, die ihn fürchten. Er übet Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen.

Die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer. Er denkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel wieder auf, wie er geredet hat unsern Vätern, Abraham und seinem Samen ewiglich.

Und Maria blieb bei ihr bei drei Monaten; darnach kehrte sie wiederum heim. Und Elisabeth kam ihre Zeit, daß sie gebären sollte; und sie gebar einen Sohn.

Elisabeth war wohlbetagt und gebar. Und Kermani meint nun, das habe Lukas zur Glaubhaftmachung der Jungfrauengeburt angeführt, wenn schon eine alte Frau... Und dann beschreibt er, was er sieht auf dem Bild, zwei Frauen, die nicht wirklich schön sind. Und was verwirrt mein Gemüt zuerst? Was für Frauen? Das sind doch die Hl. Jungfrau und die Hl. Elisabeth. Um einen sehr schiefen Vergleich zu bemühen, das ist ein wenig so, als würde man jemanden, der neben einem Dunkelhäutigen stünde, fragen, wieso hast du eigentlich einen Neger zum Freund, und der würde ratlos antworten, wen meinst du denn?

Das deutet vielleicht an, warum mein „Ärgern“ über die Bildbetrachtung mehr eine Einladung zu Mißverständnissen ist. Ist das Offensichtliche das Wahrere? Aber den einen Satz muß ich doch zitieren: „Denn von der Freude der beiden, die biblisch sogar das Kind in Elisabeths Leib ansteckt, ist überhaupt nichts zu sehen, nur Ergebenheit in den fremden, bestimmt höheren Willen, der durch sie geschieht.“

Ich sehe anderes. Die Bilder, die öffentlich zugänglich sind, es ist gut und verdienstvoll, daß es sie gibt. Man gewinnt immerhin eine Ahnung.

Der erste Impuls, man will niederknien, und der nächste, sich zurückziehen, um diesen intimen Moment nicht mit der eigenen Gegenwart zu beflecken. Da ist Wissen, Trost, Ausweglosigkeit, Einverständnis, Beistand, Überstehen, Kraft... ja innere Schönheit. In der Körperhaltung, den Gesten, der Zuwendung der Hände und Häupter, selbst der Augen. Ja Frauen sind sie außerdem noch; Männer bekommen keine Kinder. Aber darüber sind sie schon so weit erhoben, daß es einem gesagt werden muß.

Vielleicht ist genau das das Wesen des Heiligen, er wird vom Göttlichen angerührt, und seine irdische Präsenz hier wird nicht unwichtig, ganz und gar nicht, aber transparent, und sie leuchtet.


Mariotto Albertinelli (1503), Heimsuchung

Predigt Allerheiligen 2015

Offb 7, 9-17

Gnade sei mit euch und Frieden von dem der da war und der da ist und der da kommt! Amen

Liebe Gemeinde,

der Text aus der Offenbarung, den wir als Epistel gehört haben und der unser Predigttext ist, trägt die Überschrift: Die große Schar aus allen Völkern.

Wir erleben eine der zahlreichen Zukunftsvisionen, denen wir im letzten Buch der Bibel begegnen. Das Geheimnisvolle dessen, was hier durch Johannes geschaut wird, liegt in der Gleichzeitigkeit von dem, was sein wird, mit dem, was schon ist, und mit allem, was war. Immer wieder finden wir davon Anklänge in der Schrift. So raunt bereits der Prediger Salomo: „Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen;“ Pred 3, 15. Und in Christus wird auch dieser Gedanke Fleisch, denn er spricht: „Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende.“

Etwas Unvorstellbares rückt hier an uns heran, und so lassen wir uns, bevor wir in der Offenbarung weiterlesen, durch Jesaja fragen: „Mit wem wollt ihr denn Gott vergleichen?“

Diese Dimension ist gemeint, wenn es heißt: „Ich sah eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen,“

Immer suchen wir nach dem, was uns mit anderen Menschen verbindet, weil es für uns Menschen konstitutiv ist, dass wir nicht allein sein können. Wir brauchen die Gemeinschaft. Worin besteht aber das Gemeinsame? An diesem Gesicht des Johannes können wir es lernen. Es gibt etwas, das uns Menschen gemeinsam ist, und dieses steht über unserer Zugehörigkeit zu Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen. Die Menschen, von denen hier die Rede ist, werden zur Gemeinschaft durch das, wovor sie stehen – durch den Thron und durch das Lamm.

Die Hinwendung zur einzig wahren Autorität schafft ein neues Volk Gottes aus den Völkern, sie schafft das Gottesvolk, die Gemeinschaft der Heiligen, von der auch in unseren Bekenntnissen die Rede ist. Als Heilige sind sie durch die weißen Gewänder gekennzeichnet.
Der Palmzweig aber verdeutlicht, dass sie nicht ohne Zweck und ohne Aufgabe vor dem Thron Gottes stehen.

„Sie riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserem Gott, und dem Lamm!“

Sie rufen es mit einer Stimme. Es ist hier kein Tumult, kein Geschrei, kein Stimmengewirr, sondern ganz klar und hell erklingt: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt!

Das ist die Aufgabe der Heiligen, das ist die innere Bedeutung für alle Geschöpfe und für alles, was ist.

Und in der Gemeinschaft mit den Engeln, mit den Ältesten und mit allen Wesen am Throne Gottes fallen sie nieder zum Gebet.

Menschen gewinnen Einheit und Frieden durch das gemeinsame Gebet zum wahren Gott.

Dies nun ist ein gewaltiges Gebet: Gerahmt durch das bekräftigende Amen verkünden sie: Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserem Gott.

Ehre, Weisheit, Kraft und Stärke sind unserem Gott eigen. Diese vier Eigenschaften versinnbildlichen seine Allmacht, Vollkommenheit, Allwissenheit und Herrlichkeit.
Sie gehören ganz allein ihm an. Als Christen glauben wir darum, dass wo immer Menschen in die Nähe und in den Besitz von Ehre, Weisheit, Kraft und Stärke kommen, da nehmen sie nur Anteil an Gott. Sie empfangen alles von ihm, und ihre Ehre, Weisheit, Kraft und Stärke können nur Gültigkeit und Dauer beanspruchen als Gleichnis und Verkündigung von Gottes Wesen.

Lob, Dank und Preis aber sind durch die Menschen zu erbringen. Diese drei Dinge sind unser Auftrag am Throne Gottes. Wo wir seine Herrlichkeit schauen, da loben wir ihn, wo wir Ziel seiner weisen Güte werden, da danken wir ihm überschwänglich, und wo er sich als der allmächtige Schöpfer und Erlöser erweist, da antworten wir mit unserem Preis.

Das erst ist die ganze und vollkommene Gemeinschaft, an die wir glauben, und sie überwindet alles, was Menschen und Völker trennt, weil sie endlich dem begegnen, durch den und mit dem und in dem sie sind. Die vier Eigenschaften Gottes und die drei Pflichten seiner Heiligen fügen sich zur vollkommenen Sieben seiner Schöpfung.

Und wem bis an dieser Stelle noch nicht klar geworden ist, von wem hier die ganze Zeit schon die Rede ist, dem wird es jetzt offen ausgesprochen:

„Diese sind's, die gekommen sind aus großer Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. 15 Darum sind sie vor dem Stuhl Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Stuhl sitzt, wird über ihnen wohnen. 16 Sie wird nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne oder irgend eine Hitze; 17 denn das Lamm mitten im Stuhl wird sie weiden und leiten zu den lebendigen Wasserbrunnen, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“

Liebe Gemeinde,

es ist hier bereits die ganze Zeit von uns die Rede. Noch sind wir ein Teil dieser Welt. Als getaufte Glieder der Kirche aber sind wir schon jetzt Teilnehmer dieses himmlischen Chores und seines ewigen Lobgesangs. Die Gemeinschaft der Heiligen gründet sich nicht erst in Gottes Ewigkeit, sondern wird in seiner Schöpfung gegenwärtig durch seine Kirche.

Heilige sind nicht zunächst die besseren Menschen. Nur wenige haben die Kraft zu großen guten Taten oder machen die Erfahrung der besonderen Nähe Gottes, aus der heraus die Taten erst werden können, wegen derer man ihr Leben und ihre Person dann heilig nennt.
Sehr wohl aber muss etwas im Leben aller, die der Gemeinschaft der Heiligen angehören, schon jetzt groß sein.
Das kann dann aber auch die Größe der Reue sein, die wir über begangenes Unrecht empfinden. Es kann die Größe der Liebe sein, die uns dann dennoch in die Irre leitet. Es kann die Größe von Leid und Schmerz sein, in denen wir keinen Trost mehr finden. Es kann die große Buße sein, die wir üben.

Es gibt so vieles, was uns begegnet, und was uns erinnert, das ohne die Heiligkeit keine Verbindung gestiftet werden kann zwischen uns und denen die waren und wiederum zwischen uns und denen, die noch sein werden und wiederum zwischen allen und Gott.

Weil wir von Gott herstammen sind wir heilig und dürfen an die Gemeinschaft der Heiligen glauben, der er das Heil bereiten wird.

Auch vor uns sind sie gegenwärtig der Thron und das Lamm.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn. Amen
Thomas Roloff

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