Mittwoch, 8. Juli 2015

Wo letzte Ängste leuchten - Gedichte von Maria Wandelt


Mein Gott, welche Schönheit. Durch das geöffnete Erker-Fenster weht der Regen Blätter und Blüten aus dem Schloßgarten. Die größeren Zweige bleiben zum Glück draußen liegen.

Und auf einmal läßt sogar die ramponierte vergessene Spieluhr auf dem Schrank in Form eines Engels wieder Töne hören. Die Bewegung der Luft muß wirklich heftig sein. Vor allem verhilft sie Körper und Gemüt wieder zum Atmen.


Das war gestern. Herr Busse, der u.a. Gedichte von Maria Wandelt herausgegeben hat, überraschte mich diesen Vormittag mit seinem Besuch, an dem ich nicht völlig unschuldig war. Er hat sie quasi als Privatdruck veröffentlicht. Ich konnte ihn nicht erreichen, nur um ihn lediglich zu fragen, ob ich nicht doch ein paar hier bringen könne, besprochen oder unbesprochen. Er stimmte zu meiner Überraschung zu. Offen gestanden, brauchte ich einige Zeit, um einen Zugang zu finden. Aber nachdem ich ihn fand, wollte ich wenigstens etwas davon weitergeben, dies wird folglich keine Besprechung, nur ein Einstieg.

Sein Erinnerungsbuch, zu dem indirekt dieser Link führt, hat ziemlich gewiß klarer, und oft verstörend, das Bild des Menschen hervortreten lassen, der für meine Jugenderinnerungen steht. Sie werden dadurch nicht unwahr, nur das Mosaik der Erinnerung wird größer. Es muß ihn beachtliche Überwindung gekostet haben. Ich habe das dort nur angedeutet.

Es ist nicht verwerflich, wenn Menschen ihr Leben in eine Erzählung verwandeln, wir alle tun das übrigens täglich. Die Frage ist lediglich, wie viel belastbare Substanz in dieser Erzählung enthalten ist. Das war in ihrem Fall verstörend viel, wie aus den nachfolgenden zwei Gedichten deutlich werden kann.

Ich hatte in meinem kleinen  Erinnerungsbeitag angemerkt: „Aber es ist nicht wahr, daß die Dinge von ihrem Ende her gültig sind. Ein Ende kann täuschen und auf Gründen beruhen, die ebenfalls lange zerfallen sind.“


Das ist ein Aspekt. Wichtiger wäre wohl zu sagen, daß sie in den letzten Jahren ihres Verfalls aus ihrem geistigen Leben Worte wie die nachfolgenden entgegenzustellen vermochte.

Und auch, wenn das diesen Gedankengang bricht, unsere Bekanntschaft ist schließlich schon fast vorhistorisch, und wir sind so fremd in vielem gegeneinander, bis heute. Doch in unserer unverhofft 1 ½ stündige Unterhaltung wurde mir deutlich: Er hat das alte Regime aus tiefem Herzen gehaßt. Wenn er aber in so klaren Worten die innere Verworfenheit des Gegenwärtigen, das ich zunächst noch zögernd entschuldigte, mit schlicht logischen Aufzählungen begründen kann: Manchmal muß man wirklich wohl einfach nur weiter im Wald wohnen, um bei Verstand zu bleiben. Es waren diese Prinzipien von präziser Aufmerksamkeit, die ihm damals mutmaßlich zu überleben halfen, und hoffentlich auch heute.

Wir leben noch in diesem Gothic Novel, wo auch solche Einsichten vermutlich nicht weiter helfen. Aber die Poesie, die vermag viel. Auch zu verbinden, rückzubinden. Wem käme bei dem nachfolgenden Gedicht nicht der „Wolken sagenhafte Kampfgestalt“ in den Sinn, die Rilke beschrieben hat. Dabei ist ihr Text keinesfalls epigonal, er ist sogar ganz anders, von anderer Gestimmtheit, Naturerfahrung, doch spürt man die respektierende Kenntnis derjenigen, die vor einem waren.

„Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag.
Reiten, reiten, reiten.
Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß. Es gibt keine Berge mehr, kaum einen Baum. Nichts wagt aufzustehen. Fremde Hütten hocken durstig an versumpften Brunnen. Nirgends ein Turm. Und immer das gleiche Bild. Man hat zwei Augen zuviel. Nur in der Nacht manchmal glaubt man den Weg zu kennen. Vielleicht kehren wir nächtens immer wieder das Stück zurück, das wir in der fremden Sonne mühsam gewonnen haben? Es kann sein.“

Der Beginn der „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ war, die Häufigkeit des Rezitierens zum Maßstab genommen, wohl ihr Lieblingsstück von ihm.

Eine andere wesentliche Seite lernt man im darauf folgenden Text kennen - ihre tiefe Natureingewobenheit, in der sie dort alles beseelt vorfand, was anderswo, in der pragmatisch-leeren Menschenwelt etwa, ihr zu sehr ermangelte. Das Ächzen und Krachen eines fallenden Baumes erklärte sie mir einmal als letzten Aufschrei des sterbenden Wesens... Selbst Gott scheint sie im Wald noch am ehesten gespürt zu haben:


Maria Wandelt

Regenfall

Der Himmel dicht bedrängt von Wolkentieren.
Sie wachsen riesig, fressen alles Blau,
gebuckelt und gebuchtet, weiß und grau;
Wind treibt sie, daß sie sich im Kampf verlieren,
sich jetzt zerstören, nun sich neu gebären;
nicht länger Tiergestalt, hier Burg und Wall,
die schon verdunkeln, kühler Tropfenfall,
herbstliche Zeiten, die im Sommer währen.

Die Pflanzen zittern, einsam, seltsam blaß,
kein Falter, keine Biene sucht die Blüten.
Sogar die Schwalben, diese nimmermüden
geliebten Schwätzer schweigen in dem Naß.

3. 7. 1990


Aprilnächte

Ach, daß wir wieder auf die Stille lauschen,
wenn Bäume in den Sternennächten singen;
wortlos, sehr sanft der Hauch, die Winde klingen,
die Traum und Leben schenken selbst den Dingen,
fernferne Melodie wie Muschelrauschen;
die nahe auch in unsre Seele dringen
und letzte Ängste klar zum Leuchten bringen.

In diesen Nächten selbst der Vogel schweigt,
sein zarter Jubel wäre noch zu laut.
Nur Stille ziemt, da neues Leben baut
ER, dem ein jedes Leben ist vertraut
und dem sich SEIN Geschöpf in Demut neigt...
doch auch der Tod großäugig auf IHN schaut;
nichts, das in solcher Nacht sich vor ihm graut.

12. 4. 1992


für beide obigen Texte © Gerhard Busse, Rodenskrug 2014

nachgetragen am 11. Juli

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