Freitag, 23. Mai 2014

„Madame Butterfly“ oder über das Erregende des Leidens


Einer der Vorteile davon, daß es einst in Deutschland zahlreiche (darunter nicht wenige kleine) Residenzen gab - sie hatten eigentlich immer ein Theater dabei, das in der Regel bis heute überdauert hat (jedenfalls was die demokratischeren Verhältnisse davon haben bestehen lassen).

So ist es auch an diesem Ort. Und heute habe ich mich also endlich aufgerafft, 4 Minuten Wegs zurückzulegen, um mir im Landestheater „Madame Butterfly“ von Giacomo Puccini anzutun (ich war schon von Bekannten gescholten worden, sie hätten mich in der Premiere vermißt). Ich war mir nicht sicher, ob ich einem ganzen Puccini gewachsen wäre.

Es gibt einen durchaus unfreundlichen Text von „Peter Panter“ (sprich Kurt Tucholsky) über „Lehár am Klavier“, in dem auch ein gern zitiertes Verdikt über Puccini enthalten ist: „Dabei klingen alle seine [Lehárs] Melodien ganz gleich, es ist gewissermaßen die ewige Melodie, und man kann sie alle untereinander auswechseln. Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

Nun habe ich ja von all dem keinerlei nähere Ahnung, aber irgendwie muß ich dieses Vorurteil, ohne es zu kennen, verinnerlicht haben. Nur zum Beweis (meiner Ignoranz), während sich meine Stimmung zunehmend aufhellte (trotz des unerträglichen „Binnenklimas“, die Hitze (+ der kürzlich  hinzugetretenen Schwüle) der letzten Tage hing noch im Theater), dachte ich bei mir irgendwann, 'das ist ja fast (Richard) Strauss' (Strauss und er konnten sich übrigens gegenseitig nicht ausstehen, aber das muß nichts besagen) und dann wieder, 'und das ist ein wenig älter, Verdi oder so' (siehe oben). Da macht er dem Wortursprung von kompositorisch wirklich alle Ehre („compono“ - Verstreutes oder an sich Getrenntes vereinigen, zusammenbringen etc. etc.). Und vor allem: Es macht alles einen großen Effekt.

Der einem mitunter genierlich ist, aber mein Gott, warum eigentlich, die Callas hat es gesungen!


Giacomo Puccini: Madame Butterfly,
gesungen von Maria Callas, "Un bel di vedremo"

Und diese „Zusammenschmelzung“ versorgt einen schon mit gewissen „Uff“-Momenten (wo alle Sprache versiegt). Es ist der Augenblick, wo man nach Luft schnappt, weil gerade eine Woge des unterschiedlichsten Seelenkitzels über einen hereingebrochen ist. Es muß etwas Protestantisches sein, dem Vergnügen zu mißtrauen. Und wo wir (um die Ecke rum) bei Gemeinheiten sind: Tucholsky schreibt in besagtem „Weltbühne“-Artikel (und nein, ich habe die Zitate woanders abgeschrieben, aber hier hat man eine wohl redigierte Version des ganzen Textes)

„Ein männlicher Kritiker sollte niemals etwas über Tenöre aussagen — wir sind da nicht kompetent. Wenn die Frauen so leise zerfließen, weil der Tenor im Falsett haucht: davon verstehen wir nichts, das ist ein physiologischer Vorgang, und Männer haben ja nur ganz selten einen Uterus. Wir müssen uns bescheiden: es ist dies eine Art, der Liebe teilhaftig zu werden, die uns verschlossen bleibt.“

Zurück zur Aufführung. Falls ich meine Begeisterung bisher zu gut versteckt habe, sei es festgehalten: Ich bin bzw. war begeistert. Nur allein das Bühnenbild. Ein konzentriertes und klares, ohne alberne Mätzchen, das durch eine raffinierte Farb- und Lichtregie die unterschiedlichsten Stimmungen suggestiv darzustellen vermag, (mit der Hilfe von etwas Kunstnebel) etwa eine düster beklemmende graue Traumsequenz, gelöste Frühlingsleichtigkeit bis zum fatalen Rot des Selbstmords im Finale. Die Theaterkritik der hiesigen Zeitung zeigt ein paar Bilder.

Die Interpreten aller Hauptrollen überzeugten, insbesondere im Zusammen-"Spiel" (sprich etwa im Duett; als Cho-Cho-San bzw. „Madame Butterfly“: Soojin Moon, als| Dienerin Suzuki: Lena Kutzner, als Leutnant Pinkerton: Alexander Geller, als Konsul Sharpless: Robert Merwald und als Heiratsvermittler Goro: Andrés Felipe Orozco, Herr Orozco beeindruckte insbesondere darstellerisch (man bekommt eine Ahnung, warum ein Jack Gleeson, Darsteller des König Joffrey in "Game of Thrones", darüber nachdenkt, seine Darstellerkarriere aufzugeben, weil er einfach zu überzeugend böse gespielt hat, und von den psychologischen Mechanismen, die hier greifen).

Übrigens gab es einen rührenden Moment vor Beginn der Vorstellung, es wurde angekündigt, Soojin Moon, die Sängerin der Titelpartie sei leicht indisponiert, sie würde zwar heute singen, bitte aber um Nachsicht. Nun, wenn die Dame aus Korea an dem Tag indisponiert war, muß es einen an besseren ja förmlich vom Theatersessel fegen. Ich habe zwei Stücke in den Weiten des Netzes gefunden, die mir (technisch gesehen) vorzeigbar erschienen, so gewinne man seinen eigenen Eindruck (man sehe hier und hier).

Soweit ich das erkennen kann, gibt es noch eine Aufführung am Sonntag, dem 1. Juni um 16.00 Uhr im Landestheater Neustrelitz. Meine Empfehlung, wenn bisher versäumt: Hinlaufen, so man kann!

Nur über das andere, das er auch noch mitliefert, die Seelenabgründe (und wie sie zu unterhalten vermögen), ach darüber mögen wir jetzt doch nicht mehr schreiben, da hören wir lieber wieder einmal mehr Frau Maria Callas für uns allein, stattdessen.


Giacomo Puccini: Madame Butterfly, "Coro a bocca chiusa" 

nachgetragen am 24. Mai

1 Kommentar:

Walter A. Aue hat gesagt…

Sehr, sehr interessant!

Nicht, dass wir das diskutieren koennten, dazu sind wir zu weit voneinander entfernt und das meiste ginge im Atlantik unter. Oder waere zu persoenlich.

Aber weil Sie zitierten, will ich auch mein zitterndes (weil aus dem Gedaechtnis) Zitat hinzugeben:

"Die Musik war, wie wenn es Zuckerl regnete" (Erich Kaestner).

Schon. Aber manchmal ist das Leben selbst ein Zuckerl...