Mittwoch, 5. März 2014

Über Architektur, leicht zu schwülen Jugendstil u.dgl. Teil I




Ein Artikel in der hiesigen Zeitung machte mir kürzlich eine Bildungslücke bewußt. Wenn man es denn so nennen will, ist nämlich in Neustrelitz doch noch ein "Schloß" übriggeblieben. Während mein Blick, so er an diesem Schreibtisch nach links geht, die schmerzliche Leere des in den Nachkriegstagen verlustig gegangenen Residenzschlosses wahrnimmt, darf er ein paar hundert Meter weiter (und etwas abgelegen) des "Großherzoglichen Parkhauses" angesichtig werden.

Der letzte Großherzogs von Mecklenburg-Strelitz, Adolf Friedrich VI. (Großherzog wurde er allerdings erst 1914) ließ das Haus als persönliche Residenz von 1913 bis 1915 errichten. Das alte Schloß behagte ihm, so wird berichtet, nicht besonders. Er hat nur kurz Freude an seiner Neuerwerbung gehabt, denn er erschoß sich im Februar 1918 (warum, nun, darüber gibt es die unterschiedlichsten Spekulationen). Nach seinem Tode und dem Untergang der Monarchie wohnte die Mutter des Großherzogs, Elisabeth, bis zu ihrem eigenen Dahinscheiden am 20. Juli 1933 darin.

Bekanntlich haben nicht nur Bücher ihre Schicksale, Häuser erst recht. Ein „Wissenschaftler“namens Schlevogt, der auch schon mal über der Wirtschaftspolitik des 3. Reiches ins Schwärmen geriet, wollte darin zuletzt eine „Business School“ einrichten, gebracht hat es nur ein paar Presseberichte über geprellte Chinesen. Jetzt will das Land das verfallende Gebäude zurückerwerben. Die Reputation des Noch-Besitzers scheint daher in etwa so stützungsbedürftig zu sein wie die Balustrade im nachfolgenden Bild, das die Gartenfront des Hauses zeigt.


Gebaut hat es ein Ministerialrat Paul Schondorf und ja, wir nähern uns der eigentlichen Absicht dieser Zeilen. Das Haus ist geradezu ein Musterbeispiel des „Historismus“ in seiner weniger bezaubernden Variante, was die Außenfront angeht. Nun ist das eher ein Verlegenheitsbegriff, gemeint ist das Bauen in den Jahrzehnten um 1900 (also deutlich davor und bis etwa 1920 bzw. dem Ende des 1. Weltkrieges; es hat sich ja nicht schlagartig alles geändert, was den Baugeschmack angeht).

Die inzwischen glücklicherweise überwundene Verdammung jener Epoche war natürlich der pure intellektuelle Dumpfsinn, es gibt (gerade vor dem Hintergrund dessen, was nachfolgte) faszinierende Exemplare dieses Bauwillens, der versuchte, aus dem Ererbten heraus einen neuen Stil zu schaffen.

Aber was eben leider auch zu oft zutrifft, ist ein nachlassendes Gefühl für Proportionen und Baumassen, sind Willkürlichkeiten, verunglücktes Originalitätsstreben, monströse Ornamente, aus Geschmacksunsicherheit oder Gleichgültigkeit zusammengeworfene „Zutaten“. Eine Beliebigkeit, die etwas Unechtes in sich trägt; Schematismus und Pedanterie, die es selbstredend zu allen Zeiten gegeben hat, aber diesmal eben nicht mehr durch einen verbindlichen Kanon gemäßigt. Ich deute lediglich an. Und will es gleich beim Bau ebenfalls andeuten.

Nehmen wir etwa die fast noch klassizistisch-spätbarock anmutende Straßenfront. Das Gebäude liegt zurückversetzt, eine breite Auffahrt führt zu einem von 4 Säulen nebst Balkon geprägten Mittelrisalit. Aber irgendetwas stimmt nicht, zum einen das Verhältnis zu den Seitenrisaliten; der Mittelteil wirkt leicht gedrückt, ist wohl auch eine Spur zu niedrig und vor allem ruiniert der von beiden Seiten einschneidende Dachabschluß die Linienführung. So etwas mag vorher auch schon vorgekommen sein, aber das macht es nicht besser.

Die Gartenseite ist schlimmer. Der Mittelrisalit ist immerhin stärker betont, doch auf den vorgeblendeten Halbsäulen stehen merkwürdige Vasenaufbauten, flankiert wird das Ganze von sich wulstig vorstreckenden halben Seitenflügeln. Alles schrammt immer scharf am Originellen vorbei, man erkennt den Willen, aber... Ich schreibe das wirklich widerstrebend, nur um zu erklären, warum meine Sympathie, nun ja, etwas zwiespältig ist. Eine geistreiche Farbgebung und an der Straßenfront eine raffinierte Bepflanzung dürften einiges heilen können.

Nach dem, was ich lesen durfte, muß dafür das Haus im Inneren überwältigend gewesen sein (man mag gar nicht wissen wollen, was davon noch übrig ist). Die Eingangshalle flankiert von prachtvollen Kaminen, über diesen Kristallspiegel mit vergoldeten Jugendstilrahmen, wunderbares Parkett, eine große elegante Freitreppe, die zu Salons mit Seiden- und Samttapeten führt etc. etc. Es muß noch selbst in der Zeit der Verwahrlosung eine Ahnung von der kultivierten Atmosphäre des Hauses zu spüren gewesen sein, die es ursprünglich auszeichnete.

Kaum etwas sagt soviel über die Physiognomie einer Zeit aus wie die Art, in der in ihr gebaut wurde. Mit dem Historismus spüren wir, daß irgendetwas seine Fassung verliert, aus den Fugen gerät, die Wirklichkeit vor Widersprüchen überquillt, daß die Hand, die Halt an der Tradition sucht, oft ins Leere greift, daß etwas in Bewegung geraten ist. Aber wir sehen auch in diesem Strom der Veränderung genauso immer wieder wunderbare Exemplare des Bauens auftauchen und wir bewundern, wie viel gewußt, gesammelt und aufbewahrt wird. Der Ausgang von allem ist noch offen, das wird er nicht lange bleiben.

Daß wir diese Betrachtungen unserem kleines Parkhaus aufgebürdet haben, ist vielleicht ein wenig unglücklich, aber woran soll man anknüpfen wenn nicht an dem, was vor Augen liegt. Und mit der beabsichtigten Fortsetzung wird sich auch der merkwürdige Titel dieses Beitrages auflösen.

Der Traum des Architekten von Thomas Cole, 1840

Nauener Tor in Potsdam, erster neugotischer Bau auf dem Kontinent

beendet am 7. März

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