Freitag, 24. Januar 2014

Über kaiserliche Ungeheuer

Marmorbüste des Caligula (mit Farbresten)

Marmorbüste des Caligula; 
daneben Rekonstruktion der Polychromie an einer Gipsreplik,
Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen, hier gefunden

„Mit allen seinen Schwestern lebte er in unzüchtigem Verkehr und ließ sie öffentlich an der Tafel eine um die andere neben sich unterhalb (zur Linken) Platz nehmen, während seine Gattin oberhalb (zu seiner Rechten) lag.“ „Selbst kannte er keine Scham, noch schonte die eines anderen.“

„Die Grausamkeit seiner Natur bekundete er vorzüglich durch folgende Handlungen. Als einmal das Fleisch zur Fütterung der für ein Tiergefecht angeschafften wilden Bestien sehr teuer im Preise kam, bezeichnete er unter den gefangen sitzenden Missetätern diejenigen, welche den wilden Tieren zum Zerfleischen vorgeworfen werden sollten. Bei der Musterung, welche er deshalb in allen Gefängnissen nach der Reihe vornahm, warf er bei keinem einzigen der Gefangenen auch nur einen Blick auf dessen Schuldregister, sondern blieb eben nur mitten in der Halle stehen und befahl: die Gefangenen 'von einem Kahlkopfe bis zum anderen abzuführen'“.

„Einmal, als das Opfertier bereits am Altare stand, erschien er als Opferschlächter aufgeschürzt, schwang die Opferaxt hoch in die Luft und – schlug den Opferstecher tot! Als er einmal bei einem fröhlichen Mahle plötzlich in wildes Gelächter ausbrach und die beiden Konsuln, welche neben ihm lagen, ihn sehr zuvorkommend fragten, weshalb er denn lache, erwiderte er: 'Worüber sonst, als daß es nur eines Winkes von mir bedarf, um euch allen beiden auf der Stelle die Kehle abschneiden zu lassen?'“.

„Seiner Großmutter Antonia, die ihm Vorstellungen machte, gab er, als sei es noch nicht genug, daß er denselben nicht Folge leistete, zur Antwort: Bedenke, daß mir alles und gegen alle zu tun erlaubt ist! Als er seinen Bruder ermorden zu lassen beabsichtigte, den er im Verdacht hatte, sich aus Furcht vor Vergiftung durch Nehmen von Gegengift zu schützen, rief er aus: Gegengift gegen Cäsar!“

„Selbst in den Stunden der Erholung, des Spieles und des Mahles verließ ihn diese Grausamkeit der Reden und Handlungen nicht. Oft wurden, wenn er frühstückte oder ein Gelage hielt, unter seinen Augen ernsthafte peinliche Verhöre mit Anwendung der Folter angestellt oder mußte ein Soldat, der im Köpfen Meister war, irgend welchen Gefangenen die Köpfe abschlagen.“

„Ebenso neidisch und boshaft, als übermütig und grausam, wütete er fast gegen die Menschen aller Zeiten. Die Statuen berühmter Männer, welche Augustus vom Kapitolplatze wegen der Enge desselben auf das Marsfeld versetzt hatte, ließ er umstürzen und so verstümmeln, daß man später nicht imstande gewesen ist, sie mit den richtigen Inschriften wiederherzustellen.“

Ptolemaios von Mauretania,

„Unbedeutend und uninteressant dürfte es sein, hiernach noch weiter zu erzählen, auf welche Weise er seine Verwandten und Freunde behandelt hat, wie z.B. den Ptolemäus, König Jubas Sohn, seinen Vetter – denn auch Ptolemäus war ein Enkel Mark Antons von dessen Tochter Selene –, und vor allen selbst den Macro und die Ennia, die ihm zum Throne verholfen hatten und denen allen er statt dessen, was sie als Verwandte zu fordern oder wegen ihrer Verdienste um ihn zu erwarten berechtigt waren, mit grausamem Tode lohnte. Nicht achtungsvoller oder milder behandelte er den Senat.“

„Den Ptolemäus, ...den er aus seinem Königreiche zu sich nach Rom entboten und freundlich aufgenommen hatte, ließ er ganz unvermutet aus keiner anderen Ursache umbringen, als weil er sah, daß derselbe bei seinem Eintritt in das Amphitheater, wo Caligula ein Gladiatorenspiel gab, die Augen aller Zuschauer durch den Glanz seines prächtigen Purpurmantels auf sich zog.“

(aus C. Sueton Tranquillus: „De vita Caesarum“, übers. v. Adolf Stahr, 1912)

Kameo: Kaiser Caligula und Roma

Caesar, den man wohl den ersten Kaiser nennen könnte - jedenfalls hat dies die spätere Zeit offensichtlich so gesehen, daher ja auch das Wort (das seinen Namen zum Titel machte und die zeitgenössische Aussprache dabei recht getreulich wiedergibt, wie wir alle wissen) – starb bekanntermaßen unter grauslichen Umständen.

Einer seiner frühen Nachfolger tat es ihm (unfreiwillig) gleich (die älteren Römer hatten überhaupt ein vertrautes Verhältnis zur Gewalt, im Vergleich dazu sind amerikanische Waffennarren eher mecklenburgischen Diakonissinnen verwandt) – Caligula! Nach den eben zitierten Schandtaten überrascht das auch nicht. Am 24. Januar 41 n. Chr. wurde er von seinen „engsten“ Vertrauten mit dem Schwert geradezu zerstückelt, am Vorabend seiner Abreise nach Alexandria. Man sagt ihm nach, er habe vorgehabt, seinen Herrschaftssitz von Rom dorthin zu verlegen.

Das wäre dann der endgültige Affront gegen die römische Tradition gewesen, Vorher hatte er schon geplant, sein Pferd Incitatus zum Konsul zu machen. Nicht allein, daß Caligula die Senatoren und ihre Angehörigen äußerst grausam bedrängte und verfolgte. Er richtete ein Bordell auf dem Palatin ein und rekrutierte das Personal aus den besseren römischen Schichten, um, so berichtet es Sueton, „keine Quelle, Gewinn zu machen, unerprobt zu lassen“. Am Ende habe er sich gar als lebenden Gott verehren lassen.

Man sehe mir nach, daß ich keinen seriösen Beitrag über diesen Kaiser bringen mag, man findet hier das pure Widerstreben vor, u.a. deshalb, weil ich zur Zeit der „Wende“, als die Schranken fielen und fielen und (fast) alles für einen Moment möglich war, als (nahezu) unschuldiger Theologiestudent mit damaligen Freunden in einem Rostocker Kino (ich erinnere mich dunkel, gesagt zu haben, oh etwas Klassisches, das könnte doch interessant sein) den bekannten Skandalfilm sah (für den Gore Vidal das Drehbuch schrieb)  - ungekürzt vermutlich. Schockstarre!

Einige Jahrzehnte und filmische Eindrücke später würde man jetzt wohl allenfalls unwillig oder gelangweilt reagieren, aber die Erinnerung bleibt eben. Es hatte etwas von älteren öffentlichen Hinrichtungen, wo manche im Publikum entsetzt durch die Finger gelugt haben mögen, unangenehm das alles.

Jeder, der sich dunkel an die untergegangenen Römer erinnert, weiß, es gab die guten und die schlechten Kaiser. Caligula war ein schlechter, ein sehr schlechter sogar, er gab überhaupt das Muster für alle nachfolgenden schlechten Kaiser ab, die in ihren üblen Vorlieben mal eher zur grausamen oder mehr zur unsittlichen Seite hin variierten.

Sein Vater Germanicus hingegen gab das Muster eines vollkommenen Kaisers ab, besser, er hätte es abgegeben, wenn er es denn geworden wäre, aber vermutlich wurde er vergiftet, so startete sein Sohn mit einem beträchtlichen Sympathievorschuß, den er nach 2 verheißungsvollen Jahren um so gründlicher verspielte.

Wo ich gerade ein wenig im Sueton und Cassius Dio geblättert habe (in Übersetzung natürlich, ich bin gänzlich ungebildet), kam mir ein ganz anderer Gedanke. Sueton wird gern als zweifelhafter Gefälligkeitsautor abgetan. Wenn das, was ich gerade gelesen habe, oberflächlich war, dann auf einem beachtlichen Niveau. Und ein paar Jahrhunderte später hockten unsere Vorfahren beinahe wieder auf den Bäumen. Und Buchstaben kannten allenfalls ein paar verstreute Mönche! Geschichte ist mitunter doch eine sehr trübsinnige Angelegenheit.

Beide genannten Historiker stimmen darin überein, daß Caligula geisteskrank geworden sei. Das Wort „Cäsarenwahnsinn“ gab es noch nicht, das hat sich Ludwig Quidde erst 1894 ausgedacht, um Kaiser Wilhelm II. zu ärgern.

Ein anderer Historiker hat kürzlich herausgefunden, daß das mit dem geistesgestörten Kaiser in Wahrheit alles ganz anders gewesen sei (Aloys Winterling: Caligula: Eine Biographie. München, 2012). Und da ich nur enthusiastische, mindestens wohlwollende Besprechungen vorgefunden habe, will ich (aus meiner Halbbildung heraus) etwas dazu sagen (das ist letztlich auch der Grund, warum ich diesen Beitrag doch noch bringe). Man kann dem Herrn übrigens in einem ¾ stündigen Gespräch bei seinen Thesen zuhören, wenn man sich das nachfolgende Video anschaut.


"Prof. Dr. Aloys Winterling im Gespräch mit Alexander Kluge"

Ich gestehe, ich wurde durch das durchaus unterhaltsame Video zeitweise etwas schwankend in meinem Vorurteil, bis kurz vor Schluß, um mir dann selbst zu sagen: „Ach daher der Name Bratkartoffel“, und flugs zu meinem Vorurteil zurückzuschwenken (das ist jetzt eine Art Bilderrätsel für denjenigen, der sich die 44 Minuten antun will).

Der Begriff vom „eingefrorenen Bürgerkrieg“, der in dem Gespräch fällt, ist ja nicht so abwegig. Augustus hatte nach dem Beenden des Bürgerkrieges mit dem Prinzipat in der Tat ein politisches System geschaffen, das schizophren war, aber vermutlich nicht anders möglich. Das Königtum der Frühzeit war verrufen, Cäsar mit seiner Idee der Herrschaftsausübung final gescheitert, die Republik mit ihren hergebrachten Institutionen aber war zu einer dauerhaften Befriedung nicht mehr in der Lage.

Also ließ Augustus den Senat, die Magistrate etc. äußerlich den Anschein erwecken, die alte Republik bestehe fort und damit die Herrschaft der Aristokratie, de facto errichtete er eine kaum verhüllte Monarchie. Sein Nachfolger ist möglicherweise auf Grund dieses anstrengenden Spagats, der permanente Verstellung von allen Seiten verlangte, nach Capri ausgewichen. Und unser jugendlicher Held soll nun nach den ersten Senatsverschwörungen beschlossen haben, das ganze alte System zu zertrümmern, indem er die alten Eliten systematisch terrorisierte u.a.

Das klingt als These ganz nett und logisch. Das Problem ist nur. Die Quellen sprechen eine dezidiert andere Sprache, die erhaltenen ausführlicheren Darstellungen sind zwar deutlich später (Suetons Kaiserbiographien um 120 n.Chr.), was nicht bedeuten muß, daß die zeitgenössischen Darstellungen etwa eine ganz andere Tendenz gehabt haben müßten. Winterling behilft sich, indem er das  „monströse“ Caligula-Bild zum Konstrukt einer feindlich eingestellten senatorischen
Geschichtsschreibung macht, das gleich auch noch das unrühmliche Agieren des Senats gegenüber dem selbstherrlichen Imperator verwischen sollte.

Er mißtraut also den Quellen, hat aber natürlich keine anderen, also liest er sie „kritisch“ neu. Was dazu führt, daß wir statt den antiken Autoren nun seinen Konstruktionen vertrauen sollen. An die Stelle der obsoleten Meinung der Quellen tritt die eigene Deutung vulgo Konstruktion: Ein Beispiel: das bei Sueton erwähnte Bordell sei in Wirklichkeit ein Teil des Palastes gewesen, in dem die Frauen und Kinder der vornehmsten Familien als eine Art von Geiseln unter der Aufsicht Caligulas gelebt hätten.

Es gibt einige Logikbrüche in der Argumentation (nach meiner ephemeren Meinung), Cassius Dio schrieb sein Geschichtswerk 229 n. Chr., da war von der alten Senatsaristokratie der frühen Kaiserzeit nicht mehr viel übrig, es soll aber eine fortbestehende Meinungskaste von senatorischen Historikern existieren. Das rutscht doch arg in die Richtung von Verschwörungsphantasien.

Zu Zeiten eines Severus Alexander ist die „Verkaiserung“ weit fortgeschritten (was die Zeiten nicht sicherer machte, die katastrophale Reichskrise des 3. Jahrhunderts stand unmittelbar bevor), aber deren Protagonisten müssen mehr und dämonisiert werden, hm, bald werden die Soldatenkaiser den Senat endgültig marginalisieren. Demnach würde ein Cassius Dio einem politischen Lager zuzurechnen sein, das etwa 200 Jahre früher bestand. Das wäre selbst für einen Historiker reichlich anachronistisch.

Und schließlich, auch Winterling räumt ein, daß Caligula wohl ein zynischer und grausamer Herrscher gewesen sei, nur eben mit Methode, nicht aus Geistesgestörtheit. Da mag es Grauzonen geben, ich erinnere nur an die „Gewaltherrscher“ des 20. Jahrhunderts. Daß Caligulas Ausfälle hier und da eine rationale Absichten gehabt haben mögen, dies mag so sein, daß die Vielzahl von verstörenden Berichten sämtlich erfunden und tendenziös sind, erscheint mir unglaubhaft. Und letztlich werden die Motive sowieso im Dunkel bleiben müssen, ob Caligula nun ein Soziopath, Geisteskranker, ein Machtzyniker oder schlicht von verworfenem Charakter war.

Ob der Charakter der frühen Jugend bis in den Beginn der Regierung Verstellung oder echt, ob er an den Möglichkeiten seines Amtes irre wurde und den Halt verlor..., letztlich werden wir das alles wohl nie mit wirklicher Klarheit wissen können. Aber Raum für Spekulationen bleibt immer, und Bücher müssen schließlich geschrieben werden.
beendet am 28. Januar

Keine Kommentare: