Freitag, 29. November 2013

Hauff &

Hauff - Denkmal bei Schloss Lichtenstein

„Mit guten Menschen ist nicht auszukommen“, verlese ich den Beginn von Hauffs „Phantasien im Bremer Ratskeller“. Mitunter habe ich sogar ein wenig über Wilhelm Hauff geschrieben (am 29. November 1802 wurde er geboren), und es ist immer noch lesbar (nun, der Herr selbst sowieso). Einmal ging es um das Unverwüstliche des Kitsches, und die zitierte Passage, wenn auch amüsant, endet mit dem etwas barschen (vermutlich, offen gestanden, weiß ich nicht genau, wie weit die Bedeutungsverschiebung von „gemein“ zu Hauffs Zeiten schon gediehen war):

„Kann nicht auch bei uns ein großer Geist durchdringen und ein Mann des Volkes und allgemein werden? 'Ja,' erwiderte ich und drückte ihm die Hand, 'er kann es, wenn er es versteht, gemein zu sein.'“

Der andere Text ist freundlicher (auf den ersten Blick), denn er spricht davon, wie uns die Literatur über das Leben hinweghilft (oder so ähnlich): „Daher ist ein Drang in jedem Menschen, sich hinauf über das Gewöhnliche zu erheben und sich in höheren Räumen leichter und freier zu bewegen, sei es auch nur in Träumen.“

Doch, wenn uns auch weniges zu Hauff einfallen will, an Widerworten etwa wie zu diesem: „So einer Allah liebt und ein gut Gewissen hat, ist er auch in der Wüste des Elends nicht allein.“ (Die „Geschichte Almansors“ etc). Nun ja.

Doch zurück zu den Bremer Ratskellerphantasien:

„Meines Erachtens ist es keine üble Gewohnheit, die ich von meinem Großvater angenommen, nämlich hie und da Einschnitte zu machen in den Baum des Jahres und sinnend dabei zu verweilen. Wenn der Mensch nur Neujahr und Ostern, nur Christfest oder Pfingsten feiert, so kommen ihm endlich diese Ruhepunkte in der Geschichte seines Lebens so alltäglich vor, daß er darüber hinweggleitet ohne Erinnerung. Und doch ist es gut, wenn die Seele, sonst immer nach außen gerichtet, auch einmal auf ein paar Stunden einkehrt im eigenen Gasthof ihrer Brust, sich bewirtet an der langen Table d'hôte der Erinnerung und nachher gewissenhaft die Rechnung ad notam schreibt, wie Frau Hurtig dem Ritter. Der Großvater nannte solche Tage seine Schalttage; nicht daß er etwa ein Bankett veranstaltete mit seinen Freunden oder den Tag lustig und in Freuden lebte, in Saus und Braus; nein, er kehrte ein bei sich, und seine Seele schmauste in der Kammer, die sie seit fünfundsiebzig Jahren kannte. Noch jetzt, da er längst im kühlen Friedhof ruht, noch jetzt kann ich es seinem holländischen Horaz ansehen, welche Stellen er an solchen Tagen gelesen; noch jetzt, als wäre es gestern geschehen, sehe ich sein großes blaues Auge sinnend auf den vergilbten Blättern seines Stammbuches weilen; und wie deutlich sehe ich, wie dieses Auge nach und nach sich füllt, wie eine Träne in den grauen Wimpern zittert, wie der gebietende Mund sich zusammenpreßt, wie der alte Herr langsam und zögernd die Feder ergreift und »einem seiner Brüder, der geschieden,« das schwarze Kreuz unter den Namen malt.“

Wie er von dieser herabziehenden Erinnerung in den Bremer Ratskeller gelangte, zu nächtlicher Stunde, umringt, natürlicherweise, von leibhaften Gespenstern und Geistern, das mag der Herr hier selbst erklären (falls es irgendeinen Sinn macht).  Mir soll es genügen, einige sparsam kommentierte Zitate daraus anzubringen (im nächsten hat ein voluminöses Faß seinen großen Auftritt, nebst Begleitung:

„Aber kaum hatte Herr Judas also gesprochen, als ein großes Geräusch und Gelächter vor der Tür entstand. »Jungfer Rose hoch, hussa, hoch! und ihr Schatz, der Bacchus, hoch!« hörte man von mehreren Stimmen rufen. Die Türe flog auf, die gespenstigen Gesellen am Tische sprangen in die Höhe und schrien: »Sie ist's, sie ist's, Jungfer Rose und Bacchus und die andern! Holla! Jetzt geht das Freudenleben erst recht an!« und dabei stießen sie die Römer zusammen, lachten, und der Dicke schlug sich auf den Bauch, und der blasse Kellermeister warf die Mütze geschickt zwischen den Beinen durch an die Decke und stimmte ein in das Jucheisa, heisa he, daß mir die Ohren gellten. Welch ein Anblick! Der hölzerne Bacchus, so auf dem Faß im Keller geritten, war herabgestiegen, nackt wie er war; mit seinem breiten freundlichen Gesicht, mit den klaren Äuglein grüßte er das Volk und trippelte auf kleinen Füßchen in das Zimmer; an seiner Hand führte er ganz ehrbarlich, wie seine Braut, eine alte Matrone von hoher Gestalt und weiblicher Dicke. Noch weiß ich nicht bis dato, wie es möglich war, daß dies alles so geschehen; aber damals war es mir sogleich klar, daß diese Dame niemand anders sei als die alte Rose, das ungeheure Faß im Rosenkeller.“

Ich konnte mich überwinden weiterzulesen und fand bald diese possierliche Replik (gegen Bacchus):

„'Ach, Ihr loser Schalk, ' antwortete die alte Jungfrau und wandte sich errötend von ihm ab. 'Man kann ja nicht neben Euch sitzen eine Viertelstunde, ohne daß Ihr anfanget mit Euren Karessen. Und ein ehrbares Mädchen muß sich ja schämen, wenn man Euch nur ansieht. Was lauft Ihr denn fast nackt im Keller? Hättet wohl ein Paar Beinkleider entlehnen können auf heute. Da, Balthasar,' rief sie, indem sie ihre weiße Schürze abband, 'lege dem Herrn diese Schürze um; es ist gar zu unanständig!'“

Herr Hauff verbirgt seine Hinneigung zum Tiefsinn weiterhin durchaus etwa mit dem folgenden:

„'Ja, ja, Kinder,' sprach die alte Rose, 'sonst war es anders, so vor fünfzig, hundert, zweihundert Jahren. Da brachten sie abends ihre Weiber und Mädchen mit in den Keller, und die schönen Bremer Kinder tranken Rheinwein oder von unserem Nachbar, Moseler und waren weit und breit berühmt durch ihre blühenden Wangen, durch ihre purpurroten Lippen, durch ihre herrlichen blitzenden Augen; jetzt trinken sie allerlei miserables Zeug, als Tee und dergleichen, was weit von hier bei den Chinesen wachsen soll und was zu meiner Zeit die Frauen tranken, wenn sie ein Hüstlein oder sonstige Beschwer hatten. Rheinwein, echten, gerechten Rheinwein können sie gar nicht mehr vertragen; denkt euch ums Himmels willen, sie gießen spanischen Süßen darunter, daß er ihnen munde: sie sagen, er sei zu sauer.'

Die Apostel schlugen ein großes Gelächter auf, in das ich unwillkürlich einstimmen mußte, und Bacchus lachte so gräßlich, daß ihn der alte Balthasar halten mußte.

'Ja, die guten alten Zeiten!' rief der dicke Bartholomäus. 'Sonst trank ein Bürger seine zwei Maß, und es war, als hätt' er Wasser getrunken, so nüchtern blieb er; jetzt wirft sie ein Römer um. Sie sind aus der Übung gekommen.''“

Und nun kommt Roland ins Spiel, der Paladin des großen Kaisers Karl (Heine hätte jetzt seinen gewohnten faden Spott, aber Hauff macht es ganz anders, auf den zweiten Blick):

„' Engelheim! Du süßer, trauter Name!' sprach er. 'Du edle Burg meines ritterlichen Kaisers; so nennt man also noch in dieser Zeit deinen Namen, und die Reben blühen noch, die Karl einst pflanzte in seinem Engelheim? Weiß man denn auch von Roland noch etwas auf der Welt und von dem großen Karolus, seinem Meister?'
'Das müßt Ihr den Menschen dort fragen,' erwiderte Judas, 'wir geben uns mit der Erde nicht mehr ab. Er nennt sich Doktor und Magister und muß Euch Bescheid geben können über sein Geschlecht.'
Der Riese richtete sein Auge fragend auf mich, und ich antwortete: 'Edler Paladin! Zwar ist die Menschheit in dieser Zeit lau und schlecht geworden, ist mit dem hohlen Schädel an die Gegenwart genagelt und blickt nicht vor-, nicht rückwärts: aber so elend sind wir doch nicht geworden, daß wir nicht der großen, herrlichen Gestalten gedächten, die einst über unsere Vatererde gingen und ihren Schatten werfen noch bis zu uns. Noch gibt es Herzen, die sich hinüberretten in die Vergangenheit, wenn die Gegenwart zu schal und trübe wird, die höher schlagen bei dem Klang großer Namen und mit Achtung durch die Ruinen wandeln, wo einst der große Kaiser saß in seiner Zelle, wo seine Ritter um ihn standen, wo Eginhard bedeutungsvolle Worte sprach und die traute Emma dem treuesten seiner Paladine den Becher kredenzte. Wo man den Namen Eures großen Kaisers ausspricht, da ist auch Roland unvergessen, und wie Ihr ihm nahe standet im Leben, so enge seid Ihr mit ihm verbunden in Lied und Sage und in den Bildern der Erinnerung. Der letzte Ton Eures Hifthorns tönt noch immer aus dem Tal von Ronceval durch die Erde und wird tönen, bis er sich in die Klänge der letzten Posaune mischt.'

'So haben wir nicht vergebens gelebt, alter Karl!' sprach der Ritter, 'die Nachwelt feiert unsere Namen.'“

Nun, die Sache verhält sich etwas verwickelter, möchte man jetzt einwenden, doch wozu?
nachgetragen am 3. Dezember

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