Dienstag, 19. November 2013

Georg Hermann - Spaziergang in Potsdam

Rotdorn (Crataegus laevigata)

November 2010

St. Marien, Neubrandenburg, Januar 2009

„So, nun schauen Sie einmal hier die Straße am Waisenhaus herunter – sie heißt zwar Lindenstraße, aber dieser Teil wenigstens ist ganz mit Rotdorn bepflanzt, der köstlich alt und knorrig geworden ist. Größer und höher, als er sonst bei uns wird. Sie blühn nicht alle gleich rot. Welche sind wie Blut, andere lichter wie Nelken. Und sie sind jetzt ein, zwei Wochen lang eine Köstlichkeit, zu der in Japan man wallfahren würde wie zur Kirschblüte. Kennen Sie die Geschichte von dem Japaner, der in Paris lebte? Es war Schnee, erster Schnee gefallen, solcher, der ganz weich auf allem liegenbleibt, jedes Ästchen in Kristall und Silber nacharbeitet. So etwas dauert nur ein paar Stunden, dann taut's weg, oder der Wind weht es herunter. Und der Japaner sagte sich, da werde ich ins Bois gehen: Vielleicht bekommt man davon noch etwas zu sehen. Aber es wird natürlich sehr voll sein, denn ganz Paris wird ins Bois strömen. Und der Japaner ging ins Bois und erfreute sich an den beschneiten Bäumen und Büschen, aber er traf keine Seele wegauf, wegab. Endlich kam ganz hinten ein kleines Männchen an, das immerfort stehenblieb und ganz entzückt um sich starrte. Und wie es näher kam, war's auch ein Japaner.“

Potsdam, Kuppel des Militärwaisenhauses, 
Nachlaß Max Baur, vor 1944, hier gefunden

Das Große Miliärwaisenhaus in Potsdam, 2009

„Die Fassade von Gontard ist prächtig. Vor allem der Mittelbau, der als letzte Bekrönung seine Kuppel in den Himmel hebt, die von acht hohen Säulen frei schwebend getragen wird, hoch, kühn und luftig zugleich, ehe da oben noch die goldene Göttin (für Potsdam müßte man fester in griechischer Mythologie sein, als man es ist) weithin winkend ihren Arm mit einem Lorbeer-oder Palmenzweig in die helle Luft hebt.“

(Nun, es ist die nicht ganz so griechisch mythologische „Caritas“ (MiB))

„Aber kommen Sie hier einmal in das Tor hinein, und Sie werden im Augenblick verstehen, warum wir vorhin noch nicht in die Gärten von Sanssouci hinübergegangen sind. Hier ist diese Treppenhalle mit der Durchfahrt, die innen den ganzen Mittelbau fast einnimmt; und sie ist die kühnste Raumvorstellung, die in Potsdam zur Architektur erstarrte.“

Potsdam. Großes Militärwaisenhaus, Treppenhaus

Blick in die Kuppel im Eingangsbereich, 2007

„Diese hohen, weißen, von Pilastern gegliederten, nach oben angeschnittenen Kuppeln, die sich übereinandertürmen, mit Stichkappen nach den Seiten sich öffnen, höher und höher steigen, in immer neuen und überraschenderen perspektivischen Verkürzungen von Stockwerk zu Stockwerk! Ganz weiß, ganz licht! Man hört ordentlich die Helligkeit darin summen, pointillistisch flirrend. Weiß in Weiß gelöst, wie auf Bildern von Hammershoi. Und dazwischen ziehn sich nun um die Treppengänge, an den Stichkappen entlang, über den Ausschnitten der Rundungen bis in die letze Höhe die schwarzen, schon empirehaften Eisengitter und niederen Geländer, die nur in ihrer Mitte mal eine reichere Erinnerung an das Linienspiel tragen, das das Rokoko auch einem so spröden Material wie Eisen zu geben wußte.

Jede Form ist hier von äußerster Sparsamkeit. Es gibt nur Grade und nur Rundungen, keine gebrochenen Linien. Und doch ist das Ganze mir so phantastisch wie ein Feenschloß. Oder besser, wie ein Saal im Schloß der Schneekönigin bei Andersen, wo die kleine Kare einsam sitzt und aus Eisstücken das Wort 'Ewigkeit' zusammensetzen muß. So groß, so weiß und sich in den Himmel übereinandertürmend muß der auch gewesen sein.“
Georg Hermann Spaziergang in Potsdam, 1926

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„... Geschichte bekommt doch wirklich erst Leben, wenn sie tot ist; und über Schlössern und Schloßhöfen muß Stille liegen, wenn die Menschen von einst durch ihre Kunst zu uns sprechen wollen.“ Der das schreibt, hat eines der großartigsten Bücher geschrieben, die über Potsdam geschrieben worden sind, ein eigentlich recht schmales (in meiner Ausgabe 100 Seiten und noch einmal die Hälfte hinzu), mitunter launenhaft und, ja, schludrig, mit dem Blick des kultivierten Besuchers, aber immer dem Gegenstand gewachsen, durch Einfühlung.

Er hat einen genauen, sympathisierenden Blick auf das, was da ist, aus welchen Intentionen heraus es immer geschaffen worden sein mag. Er kommt also als Fremder in das Biotop Potsdam, gewissermaßen. Er ist folglich fern davon, ein idealischer Preuße zu sein, der Berliner Erfolgsautor, was nichts mit seiner jüdischen Herkunft zu tun hat (die leidenschaftlichsten Bewunderer Fontanes waren Juden), ich wußte das übrigens die ganze Zeit meiner Lektüre überhaupt nicht, hatte nur hier und da Zitate aufgeschnappt und dunkel die Erinnerung eines oft gelobten Buches.

Wenn Menschen groß sind, erschaffen sie weit mehr, als ihnen dabei bewußt ist oder sein kann. Und mitunter ist es unersetzlich, etwas nicht zu wissen, weil ein erster unschuldiger Blick nie im Nachhinein rekonstruiert werden kann.

Wenn man eine Stadt wirklich in sein Inneres hat eintreten lassen, dann ist man parteiisch, natürlich, spürt jeden Verlust, freut sich über jede Heilung. Ist wütend, wenn die Vandalen in den Hallen Karthagos ihre Schweine wohnen ließen, um ein altes Klischee zu mißbrauchen. Und man spürt jede andere echte Zuneigung zum selben Gegenstand (ein Ort diesem Fall).

Potsdam ist aus einem bewußten (kenntnis- und kulturbewußten) Willen heraus entstanden. Dieser Wille wurde über Generationen, sich wandelnd, aber nie abreißend, weitergetragen (bis in das Elend des vergangenen Jahrhunderts). Das, was dort entstand, wurde überraschenderweise selten wirklich reflektiert (und was geschaffen wurde, ist wahrlich fern jeder Simplizität, und Hermann bemerkt dies sehr wohl). Dieser Autor hatte einen Anfang dazu gelegt und fühlte sich wohl zu recht wie der Japaner in Paris.

(Es ist wirklich ärgerlich, ich weiß völlig, wovon er spricht, und habe auch versucht, Bilder davon zu machen, wo immer sie jetzt stecken mögen, hoffentlich, daher der hilflose Einstieg)

Georg Hermann ist ein vergessener Autor, fürchte ich, hier und hier wird man "Ehrenrettungen" finden, und meine Erwähnung der jüdischen Herkunft hat einen einfachen Grund. Neugieriger geworden, suchte ich weiter und fand, er ist irgendwann um den 19. November 1943 in Auschwitz - Birkenau gestorben.
nachgetragen am 29. November

1 Kommentar:

Walter A. Aue hat gesagt…

Besten Dank fuer den Japaner in Paris!

Splendidly written, obviously heartfelt and - for me personally - totally unknown and therefore the more valuable.