Samstag, 9. März 2013

Kaiser Wilhelm I.


Denkmal Wilhelm I. in Lübeck

„Am 2. Januar 1861 ward Wilhelm I. König von Preußen. Er war als zweitgeborener Sohn nicht für den Thron vorgebildet worden, sondern hatte eine auschließlich militärische Bildung empfangen. Daher war es nur natürlich, daß sein Denken vorerst nur militärisch gerichtet, daß sein ganzes Sinnen damit beschäftigt war, das preußische Heer so zu organisieren und auszubilden, daß es den Kampf um Dasein und Weltstellung des preußischen Staates, den er als Knabe hatte zusammenbrechen und als Jüngling wieder erstehen sehen, siegreich führen könne.

Preußisches Heer und preußische Macht, das waren Gegenstand und Ziele seines Denkens und Handelns. Seit dem 11. Juni 1829 war er vermählt mit der Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar, der Enkelin Karl Augusts, und dadurch mit den klassischen und romantischen Überlieferungen und der politisch liberalen Richtung dieses Fürstenhofes bekannt gemacht, wenn auch ihnen nicht nahe gebracht. In Berlin sah man in ihm bis 1848 den typischen Vertreter der absoluten Monarchie und des Militärstaates, und darum richtete sich auch beim Ausbruch der Revolution aller Groll und Haß der Radikalen gegen ihn.

Er mußte fliehen, am Morgen des 27. März kam er in London an. Mit offenem Blick sah er von da in das englische und deutsche Staatsleben hinein; und was er da schaute, und was er in Gesprächen mit dem alten Herzog Wellington, der ein stolzer Tory und doch ein unbedingter Anhänger des Parlamentarismus war, und mit dem Prinzen Albert, dem Gemahl der Königin Viktoria, hörte, das alles führte ihn dazu, die Berechtigung und Notwendigkeit des konstitutionellen Staatslebens auch für Preußen anzuerkennen.

Er war dafür gewesen, daß sein Bruder die ihm angebotene Kaiserkrone annehme; und doch billigte er später dessen Ablehnung, weil die Frankfurter Verfassung ein Scheinkaisertum, einen Übergang zur Republik begründe. In den Jahren der Reaktion stand er seinem königlichen Bruder fern. Er mißbilligte die Politik des Nachgebens, 'die in der Stube so viel und so lange rät und sich ordentlich scheut, wenn man an das Handeln im Freien denkt'. 'Er war den Befehlen des Königs als erster Untertan gehorsam, aber fühlte sich nicht imstande, diesem bei einer politischen Schwenkung zu helfen, die gegen seine Überzeugungen lief.'

Adolph Menzel, „Die Krönung Wilhelms I. zu Königsberg 1861“, 1865

Der Oktober 1857 gab ihm die politische Macht, er ward Regent an des erkrankten Bruders Statt. Das Volk begrüßte die neue Regierung mit heller Freude, die Neuwahlen zum Landtage zeigten volles Vertrauen zur Regierung. Aber der Himmel trübte sich bald; als Wilhelm am 18. Oktober 1861 in Königsberg 'vom Tische des Herrn' die Krone nahm und mit seiner Gemahlin die Huldigung des kronprinzlichen Paares empfing ...,  bestand schon seit Jahr und Tag zwischen ihm und der Volksvertretung wegen der Heeresreform ein scharfer Konflikt, so daß er sich dann im Herbst 1862 mit dem Gedanken trug, zu Gunsten seines Sohnes, des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, abzudanken. Daß er blieb, war das erste Verdienst des am 23. September 1862 neu ernannten Ministerpräsidenten Otto von Bismarck."


Einweihung der Siegessäule in Berlin
aus „Bildersaal deutscher Geschichte“

Soweit der Beginn des Kapitels „Wilhelm I. und Bismarck.“ aus dem „Bildersaal deutscher Geschichte“ von 1890, ein erbauliches Monumentalwerk, das in Bildern und Erzählungen mehr als tausend Jahre deutscher Geschichte lebendig werden läßt, patriotisch gesinnt natürlich, aber bei weitem nicht so platt, wie man das von nachfolgenden Jahrhunderten her erwarten könnte.

Es gäbe natürlich einiges anzumerken zum ersten Herrscher des Zweiten deutschen Kaiserreichs. Ich habe gelegentlich Anläufe dazu unternommen, dieses hier ist wohl noch am ehesten lesbar. Und Herr Roloff hat auf den Seiten des Hauses Hohenzollern mit diesem Beitrag eine kurze Biographie Wilhelms I. verfaßt, die das Wesentlichste notiert.


Einer der Gründe, der diesen Beitrag verzögert hat, war übrigens Christopher Clarke („Preußen“ - deutsch, München, 2007), ich dachte einfach, nichts sei erbärmlicher als sich selbst immer und immer wieder wiederzukäuen. Also las ich o.g. Buch erneut, gründlicher; nicht daß ich immer seiner Meinung gewesen wäre, aber es gibt Schlimmeres, als nicht meiner Meinung zu sein. Er ist ausgezeichnet seriös, eine Seriosität, die man heutzutage eher bei diszipliniert - souveränen britischen Historikern findet oder gewissen (längst verstorbenen) Altkommunisten wie Ernst Engelberg, bei hiesigen Zeitgenossen kaum. Der Grusel beginnt im Fernsehen und endet in der sogenannten Qualitätszeitung, ich nenne keine Namen (wer kennt die Völker, zählt die Namen ist man versucht zu kalauern), doch zurück zu Wilhelm I.

Was der obige Text so höflich beschreibt, läßt sich plastischer schildern, die Situation: März 1848, König Friedrich Wilhelm IV. hatte gerade nach revolutionären Tumulten verfügt, das Militär solle sich aus Berlin zurückziehen. Er begab sich also „in die Hände des Volkes“, eine nicht ungefährliche Entscheidung, die auch persönlichen Mut abverlangte. Er hatte sich gewissermaßen entschlossen, mit viel rednerischem Einsatz jedenfalls auf dem nationalen Teil des Aufruhrs zu segeln und sich (noch) nicht gewaltsam dagegenzustellen. Übrigens als einziger deutscher Fürst, alle anderen kämpften dagegen an oder (die meisten) verkrochen sich. Es darf auch nicht vergessen werden, daß Friedrich Wilhelm IV. selbst mindestens so „reichsdeutsch“ fühlte wie preußisch, es war also nicht bloße Taktik, aber natürlich riskant.

Prinz Wilhelm allerdings war empört: „Bisher hab' ich wohl gewußt, dass Du ein Schwätzer bist, aber nicht, dass Du eine Memme bist! Dir kann man mit Ehren nicht mehr dienen“. Dann warf er dem Bruder und König sein Schwert vor die Füße, worauf dieser mit Tränen der Wut in den Augen entgegnet haben soll: „Das ist zu arg! Du kannst nicht hier bleiben. Du mußt fort“(Clark, S. 544). Prinz Wilhelm ging nach London und kehrte erst im Sommer zurück, übrigens tatsächlich deutlich milder gestimmt.

Natürlich waren seine Grundansichten nach wie vor traditionell preußisch, aber er war doch auch im Denken durchaus flexibler als man ihm dies gemeinhin zugesteht. Was im obigen Konflikt sich vor allem ausspricht, ist die Unterschiedlichkeit des Charakters. Wilhelm war es zuwider, vor einer andrängenden ernsten Gefahr zurückzuweichen, mochte er auch in seinen Ansichten manchmal schwanken, er war ein tapferer Mann, der die soldatischen Tugenden verinnerlicht hatte. Er war kein Politiker, und in gewissem Maße mußte ein preußischer König auch politisch denken.

Das Wissen um dieses Defizit, also Ehrlichkeit auch zu sich selbst, und ein gewisses Grundvertrauen zu Bismarck dürften die Hauptgründe gewesen sein, warum er diesen überlegenen Geist als Ministerpräsident bzw. später Reichskanzler nicht nur erduldet, sondern auch gestützt hat. Insofern sind die gern getätigten Bemerkungen über seinen beschränkten Horizont, nicht nur was Menschenkenntnis angeht, sehr zu relativieren. Abgesehen davon, daß sie natürlich auch in ihren Grundauffassungen gleichgestimmt waren, etwa, daß es Preußens Mission sei, Deutschland zu einen.

Standarte des Deutschen Kaisers

Nach der Erkrankung seines Bruders wurde Wilhelm im Oktober 1858 Regent und nach dessen Tod am 2. Januar 1861 König von Preußen. 3 unvermeidbare Kriege später, dem Krieg gegen Dänemark, gegen Österreich und schließlich Frankreich wurde er am 18. Januar 1871, dem 170. Jahrestag der Königskrönung Friedrichs III. von Brandenburg, im Spiegelsaal von Versailles zum „Deutschen Kaiser“ proklamiert.

Wilhelm I. 1880 an seinem Schreibtisch Unter den Linden, Photographie

Dem Kaiser wuchs über die Zeit gewissermaßen die Würde eines biblischen Patriarchen zu, charakterfest, mit durchaus auch skurrilen Zügen. Die Einrichtung eines Bades im Berliner Schloß erschien ihm unnützer Luxus (das Baden erfolgte in einem über ein Gestell gezogenen wasserdichten Ledersack), ebenso die Bereifung der Kutschen mit Gummireifen (Clark S. 671).

Kaiser Wilhelm starb als gewissenhafte Verkörperung des „Preußischen“ hochangesehen am 9. März 1888. Der Staat, dem er als erster vorstand, gab zu den glänzendsten Erwartungen Anlaß, wie sich auch an den nachfolgenden Versen ablesen läßt, mit denen der obenerwähnte „Deutsche Bildersaal“ schließt. Es ist dann anders gekommen.


"Doch stets verhüllt sind uns der Zukunft Lose;
Uns schreckt das Dunkel nicht, das sie umschwebt,
Da sonnenhell das Schöne, Wahre, Grosse
Der Zeiten Wechsel siegreich überlebt.
Vergangnen Ruhm mag unser Dank verklären,
Die neue Zeit soll neuen Ruhm gebären."

"Den Geistern Licht, den Herzen Trost und Frieden,
Du neu Jahrhundert, sei von Dir Beschieden!"


beendet am 17. März

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