Samstag, 5. Mai 2012

Über Nachtigallen


(c) insecta62, hier gefunden

Bevor die deutsche Literatur in den seichten Gewässern der Aufklärung strandete, gab es noch einmal jemanden wie Barthold Hinrich Brockes. Sein „Irdisches Vergnügen in Gott“ ist in der Tat ein Vergnügen zu lesen, aber darum soll es diesmal gar nicht unbedingt gehen. Der Herr Morgenländer hatte die Idee, warum auch immer, einen Zitate-Wettstreit über Nachtigallen zu veranstalten. Da fiel mir der Hamburger Senator ein. Das einzige Problem dabei, die hatten damals soviel Zeit oder auch innere Ausdauer, unsereiner bekommt ja schon unkontrollierbare Zuckungen am ganzen Körper, wenn ein Gedicht über mehr als eine halbe Seite geht. Ich habe es also leicht eingekürzt, den ganzen Text findet man hier.

Die Nachtigall, und derselben Wett-Streit gegen einander


Im Frühling rührte mir das Innerste der Seelen
Der Büsche Königinn, die holde Nachtigall,
Die, aus so enger Brust, und mit so kleiner Kälen,
Die größten Wälder füllt, durch ihren Wunder-Schall.
Derselben Fertigkeit, die Kunst, der Fleiß, die Stärcke,
Veränderung und Ton sind lauter Wunder-Wercke
Der wirckenden Natur, die solchen starcken Klang
In ein Paar Federchen, die kaum zu sehen, sencket,
Und einen das Gehör bezaubernden Gesang
In solche dünne Haut und zarten Schnabel schrencket.
Ihr Hälschen ist am Ton so unerschöpflich reich,
Daß sie tief, hoch, gelind' und starck auf einmahl singet.
Die kleine Gurgel lockt, schnarrt, zischt und pfeift zugleich,
Daß sie, wie Quellen, rauscht, wie helle Glocken, klinget.
Sie zwitschert, stimmt und schläg't mit solcher Anmuht an,
Mit solchem nach der Kunst gekräuselten Geschwirre;
Daß man darob erstaunt, und nicht begreiffen kann,
Ob sie nicht seuftzend lach', ob sie nicht lachend girre.
Ihr Stimmchen ziehet sich in einer holen Länge
Von unten in die Höh, fällt, steigt aufs neu' empor,
Und schweb't nach Maaß' und Zeit; bald drenget eine Menge
Verschied'ner Tön' aus ihr, als wie ein Strom, hervor,
Zuweilen seuftzet sie, und winselt, daß man meynet,
Sie werde sterben; aber bald
Erhebet sie, mit feuriger Gewalt,
Den reinen Ton aufs neu. Dann eben scheinet,
Es woll' ihr lieblich-scharfes Singen,
Als wie ein Pfeil, uns in die Seele dringen.

...

Es scheint so gar der Nam' allein
Ein Inbegriff der Frühlings-Lust zu seyn.
...
Daß in der meisten Hörer Augen
Sich ein geheim Vergnügen zeiget.

Sie dreht und dehnt den Schall, zerreisst und füg't ihn wieder;
Singt sanft, singt ungestüm, bald grob, bald klar und hell.
Kein Pfeil verfliegt so rasch, kein Blitz verstreicht so schnell,
Die Winde können nicht so streng' im Stürmen wehen,
Als ihre schmeichelnde verwunderliche Lieder,
Mit wirbelndem Geräusch, sich ändern, sich verdrehen.
Ein rollend Glucken quillt aus ihrer holen Brust;
Ein murmelnd Flöthen lab't der stillen Hörer Hertzen.
Doch dieß verdoppelt noch und mehrt die frohe Lust,
Wenn etwan ihrer zwo zugleich zusammen schertzen.
Die singt, wann jene ruft; wann diese lockt, singt jene,
Mit solch- anmuthigem bezaubernden Getöne;
Daß diese wiederum, aus Misgunst, als ergrimmt,
In einem andern Ton die schlancke Zunge stimmt.
...
Daß, so durchdringenden und heftigen Gesang,
Das menschliche Gehör kaum mächtig zu ertragen.

Wer nun so süssen Ton im frohen Frühling hör't,
Und nicht des Schöpfers Macht, voll Brunst und Andacht, ehrt,
Der Luft Beschaffenheit, das Wunder uns'rer Ohren,
Bewundernd nicht bedenckt; ist nur umsonst gebohren;
Und folglich nicht der Luft, nicht seiner Ohren, wehrt.

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