Sonntag, 22. April 2012

Misericordias Domini


Herr Roloff hat heute diese Predigt gehalten, die ich doch noch zur späten Sonntagserbauung nachtragen will. Der übliche Sonntagsessens-Bericht folgt etwas später.


Predigt Misericordias Domini

1Petr 5, 1-4

Der Friede des Auferstandenen sei mit euch!

Liebe Gemeinde,

in unserem Pfarrhaus hat zur Bismarckzeit wohl ein Bild des Reichsgründers gehangen. Als der alte Fürst als Patron der Kirche nun einmal den Pfarrer besuchte, da fiel ihm das im Geschmack der Zeit gehaltene Portrait auf, und  er fragte ein wenig befremde: „Was, das soll ich sein?“ Er blickte sich im Amtszimmer um und gewahrte eine Darstellung des sinkenden Petrus und bekannte daraufhin: „Nein, das da bin ich!“

Petrus ist eine scheinbar so widersprüchliche Gestalt. Überragend steht er vor uns, der Apostelfürst mit den beiden Schlüsseln. Gleichzeitig wissen wir von seinem Leugnen in der Nacht zum Karfreitag. Er war so oft stürmisch in seiner Zuneigung zu Christus und versagte doch, wenn es darauf ankam, sie zu bewähren. Am Gründonnerstagabend wehrte er sich gegen den Herren: „Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen“ nur um gleich darauf zu verlangen, „nicht nur die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt!“ Zwei Dinge wurden ihm durch Jesus gesagt. Auf  sein Bekenntnis hin entgegnet der Herr: „Du bist Petrus, du bist der Fels, auf dem ich die Kirche bauen werde.“  Und nur Augenblicke später, nachdem Jesus sein Leiden angekündigt hatte und Petrus davon nichts hören wollte und energisch verlangte: „Das alles geschehe dir nur nicht!“, da stößt der Herr ihn fort mit den Worten: „Hebe dich von mir Satan! Du willst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist.“

So scheinbar widersprüchlich ist der große Apostelfürst, und dennoch wuchs er in der nachösterlichen Gemeinde zu einer maßgeblichen Figur heran, leitete die aus Juden hervorgegangene Jerusalemer Urgemeinde und gelangte endlich nach Rom, in das Zentrum der damaligen Welt. Aber selbst dort noch, so weiß es die Legende, wollte er zunächst vor der neronischen Verfolgung fliehen. Wieder wollte er, was ja menschlich ist, nämlich der Gefahr ausweichen. Da aber erschien ihm Christus in der Nähe der Porta Capena, und er erkannte ihn und fragte: „Quo vadis, Domine?“ Wohin gehst du, Herr? Christus antwortet: Ich gehe, um mich wiederum kreuzigen zu lassen. Da kehrt Petrus um und bezeugte dort in Rom mit dem Tod seinen Glauben.

Es ist dabei gar nicht so wichtig, wie dicht der tatsächliche historische Gehalt an dieser Stelle ist. Die ganze Kirche und so auch alle von ihr weiter getragenen Geschichten sind ja aus dem Glauben erwachsen und bezeugen darum auch immer zunächst den Glauben selbst und dann erst vergängliche Tatsachen. Diesem Geheimnis wollen wir nachspüren, wenn wir nun auf die Worte aus dem 1. Petrusbrief hören, die uns zur Predigt aufgegeben sind.

Die Ältesten, so unter euch sind – damit sind alle gemeint, die sich für die Gemeinde verantwortlich wissen - sie werden von Petrus ermahnt, der sich ausdrücklich als Mitältester und Zeuge der Leiden, die in Christo sind, tituliert. Aus seiner Stellung als Zeuge nun ergibt sich auch seine Teilhabe an der Herrlichkeit Christi. Dies beides begründet dem Apostel seine Berechtigung, die Ältesten zu ermahnen: „Weidet die Herde Christi und sehet wohl zu, nicht gezwungen, sondern willig; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund;“

Schön ist zunächst das Bild der Herde. Zum Glück leben wir in einer Landschaft, in der man gelegentlich mit den Kindern auf den Elbdeich fahren kann, um eine Schafherde mit ihren Lämmern weiden zu sehen. Dieses Bild stand Petrus also vor Augen, weil es jenseits aller Romantik, die wir empfinden, die Existenzform der Nomaden ist, in der sie oft auch notvoll erleben, wie sehr alle, die der Gemeinschaft einer Herde angehören, aufeinander angewiesen sind. In dieser Gemeinschaft erhält jeder nur, nicht weil, sondern indem er gibt. Das Leben ist in seinem Kern nicht Geben und Nehmen, sondern es ist Leben aus der Hingabe aller aneinander. Archaische Völker haben davon etwas in den Formen ihrer Gastfreundschaft erhalten. Nie hören wir davon, dass man Gastfreundschaft in der Erwartung übt, etwas zu bekommen. Nie gilt da etwas, das man gibt als verloren. So sollen auch wir sein.

Wie können wir das werden?

Die wichtigste Voraussetzung dazu ist es, dass wir nicht den Fehler machen, es voneinander zu verlangen, sondern ein jeder von Herzensgrund danach sucht, was er geben kann. Unsere so soziale moderne Gesellschaft hat sich anderes angewöhnt. Sie will immer genau mit dem Gerechtigkeit herstellen, was sie von anderen verlangt. Petrus mahnt uns, unseren Herzensgrund zu erforschen.

Dann aber sollen wir die Herde weiden, nicht als die übers Volk herrschen, sondern werdet Vorbilder der Herde. So schreibt Petrus.

Ja, liebe Gemeinde, machen wir es uns bewusst: Dauerhafte Wirkung auf Menschen wird nur derjenige erlangen, der ihnen zum Vorbild wird. Es gehört allerdings zur Tragik unseres Lebens, dass dieses nicht nur im Guten gilt. Umso mehr müssen wir also dieses Beispiel im Guten sein, als Herde, die sichtbar aufeinander angewiesen ist und darum füreinander da ist. Keine andere Gemeinschaft in diesem Dorf versammelt sich so oft und so vielgestaltig wie wir es tun. Es sind ja keineswegs nur die Gottesdienste, es ist nicht nur die Fürsorge untereinander, der Gemeindekirchenrat, der Bibelkreis, der Bläserchor und so viele andere Gliederungen der Gemeinde, die sich regelmäßig versammeln, beten und singen und nach dem Wohl der ganzen Gemeinde suchen. Dieses Beispiel wird nicht ohne Wirkung bleiben und es ist ein Vorbild für jede Sorge, die Menschen füreinander ausüben. Auch die öffentliche Ordnung muss wieder ein Verhältnis zu dem finden, was hier durch Petrus aufgerichtet wird: Weidet die Menschen, die euch anvertraut sind, nicht gezwungen sondern willig, nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund; nicht als die übers Volk herrschen, sondern werdet Vorbilder der Herde.

Liebe Gemeinde,

was würde es zur Gesundung der politischen Kultur in diesem Land beitragen, wenn jede Forderung zunächst durch denjenigen, der sie erhebt ein halbes Jahr im persönlichen Leben Beachtung finden müsste, bevor sie öffentlich geäußert werden dürfte. Werdet Vorbilder der Herde, so schreibt Petrus, der seine Widersprüchlichkeit und Unzulänglichkeit mit Sicherheit sein Leben lang gekannt hat. Er wusste, redete und lehrte darum ganz von Herzensgrund, was eben hieß: Er lehrte nicht aus sich selbst, sondern allein aus dem Vertrauen, das der Herr dennoch immer wieder in ihn gesetzt hat.

Wenn irgend Gutes in unserer Gemeinde, in unseren Familien, in unserem Dorf gelingt, dann dürfen wir sicher sein, dass es aus dem Vertrauen erwächst, das Christus unverbrüchlich zu uns hat, obwohl wir so sind, wie wir sind.

Amen.

Der Friede und die Gnade des auferstandenen Herrn, die höher sind als unsere Vernunft, bewahren eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.
Thomas Roloff

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