Mittwoch, 11. November 2009

Über die Verwirrung der Zeiten


El Greco, Hl. Martin mit Bettler,
gefunden hier

Da der erste meiner beiden Vornamen nun einmal Martin lautet, ist heute erkennbar mein Namenstag. Ich durfte sogar dankbar Glückwünsche dazu entgegennehmen, gut, glücklicherweise habe ich vor einem Jahr ein paar Bemerkungen zu diesem Tag dahingeworfen, die mag man dort nachlesen. So bin ich einmal aus dem Schneider.

Das klingt übertrieben? Hah!

Es gab diesmal 4 Dinge, die ich mißtrauisch beäugt habe, ob daraus wohl ein Post werden wird: Martini, „Remembrance Day“, ein Video und eine Partei. Jetzt sind es noch 3.

"Wir sind am Abend unserer Tage. Wir irrten oft, wir hofften viel und thaten wenig…"

„O hätt ich doch nie gehandelt! um wie manche Hoffnung wär ich reicher!"
Hölderlin, Hyperion



Es ist nicht so, daß ich mich aus freiem Entschluß in diesen Gedankengängen verliere, die mir zumal doch recht fröstelnd fremd sind, aber um gewissermaßen einen kleinen Aufschub zu erwirken, noch einmal Hölderlin:

„Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein. Er darf nicht fordern, was er nicht erzwingen kann. Was aber die Liebe gibt und der Geist, das läßt sich nicht erzwingen. Das laß er unangetastet, oder man nehme sein Gesetz und schlag es an den Pranger! Beim Himmel! der weiß nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, daß ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte. Die rauhe Hülse um den Kern des Lebens und nichts weiter ist der Staat…

Nicht, daß wir ernten möchten, fiel ein andrer ein; uns kömmt der Lohn zu spät; uns reift die Ernte nicht mehr.

Wir sind am Abend unsrer Tage. Wir irrten oft, wir hofften viel und taten wenig. Wir wagten lieber, als wir uns besannen. Wir waren gerne bald am Ende und trauten auf das Glück. Wir sprachen viel von Freude und Schmerz, und liebten, haßten beide. Wir spielten mit dem Schicksal und es tat mit uns ein Gleiches. Vom Bettelstabe bis zur Krone warf es uns auf und ab. Es schwang uns, wie man ein glühend Rauchfaß schwingt, und wir glühten, bis die Kohle zu Asche ward. Wir haben aufgehört von Glück und Mißgeschick zu sprechen. Wir sind emporgewachsen über die Mitte des Lebens, wo es grünt und warm ist. Aber es ist nicht das Schlimmste, was die Jugend überlebt. Aus heißem Metalle wird das kalte Schwert geschmiedet. Auch sagt man, auf verbrannten abgestorbenen Vulkanen gedeihe kein schlechter Most.

…will aber niemand wohnen, wo wir bauten, unsre Schuld und unser Schaden ist es nicht. Wir taten, was das unsre war. Will niemand sammeln, wo wir pflügten, wer verargt es uns? Wer flucht dem Baume, wenn sein Apfel in den Sumpf fällt? Ich habs mir oft gesagt, du opferst der Verwesung, und ich endete mein Tagwerk doch.“

Nein, es war eine Nachricht von gestern, und wo ich schon diese zitiere, will ich wenigstens den Absender verschweigen, der sie mit den ersten Worten oben begonnen hatte:

„Morgen ist es nun soweit und zwanzig Jahre her, daß wir unsere ‚Kleinstpartei‘ gegründet haben. Ob man daran wohl erinnern muß? Zwanzig Jahre scheinen aber in jedem Falle die Grenze zu sein, an der die Dinge beginnen, sich von einem abzulösen. Man erinnert sich nicht mehr an eigenes Erleben, sondern an fremde Personen, die mit anderen austauschbar werden. Es war insgesamt eine merkwürdig wichtige, aber am Ende doch marginale Erfahrung.“

Ja in der Tat. Auch ich habe einmal so etwas Närrisches getan wie versucht, eine Partei zu gründen, ich hatte das völlig verdrängt und wäre nicht darauf gekommen, hätte mich nicht diese Nachricht erreicht, heute vor 20 Jahren, kurioserweise in der Stadt, in der ich gerade wieder lebe, die meisten waren Kommilitonen (des Studiums der Theologie), aber es gab auch einen jungen Staatsanwalt. Man sehe selbst, was für umstürzende Vorstellungen wir hatten.



Nach diesen Worten haben mich die anderen meiner damaligen Kommilitonen für einen abgefeimten Rechtsradikalen gehalten, sie tun dies größtenteils bis heute, selbst wenn sie gegenwärtig irgendwo sicher angekommen sind, die Sicherheit der Erinnerung bleibt bestehen, auch wenn die Inhalte lange gewechselt haben. Man darf ihnen das nicht vorwerfen, so sind Menschen, sie suchen einen Halt in der Zeit und wollen mit sich im Einvernehmen bleiben, das andere, Geschichte, Außenwelt, Erinnerung ist dann lediglich etwas, welches es zu bewältigen gilt. Was mich geringfügig irritiert, mehrere von ihnen haben weiter für sich meinen Lebensweg (und den von anderen von damals) verfolgt. Wie kann man sich so sehr an etwas binden, das man ablehnt, wie auch immer.

Ich muß gestehen, wenn ich diese Dinge wieder lese, sind sie mir grauselig fremd, ich stimme also der Nachricht vollumfänglich zu.



Es gibt dort übrigens in beiden Fällen eine zweite Seite, auf der auch nicht Aufregenderes steht, nur zusätzlich Namen, doch wir wollen niemanden kompromittieren.

Was mich selbst allerdings in diesem Augenblick maßlos stört, ist der vermeintliche Opportunismus dieser fremden Worte. Doch, das war gar keiner, wir glaubten einfach, daß die Dinge, die so verstört waren, mit der Wiedervereinigung bald geheilt wären, wir waren gnadenlos naiv und vor 20 Jahren auch eindeutig noch recht jung.

Diese FDU schloß sich dann mit anderen "Kleinstparteien" zur DSU zusammen, darauf gab es eine "Allianz für Deutschland" und eine "gewonnene" Volkskammerwahl. Geschichte. "Vollendete Vergangenheit".

So, da wären wir durch. Und jetzt noch der „Remembrance Day“. Der steckt mir in der Tat wie eine Gräte im Hals, und am liebsten würde ich sagen, was für eine verlogene Veranstaltung, aber das stimmt auch nur teilweise. Ich denke, gerade ist die Zahl meiner Englisch sprechenden Bekannten, die Deutsch verstehen, maßgeblich geschrumpft. Aber unglücklicherweise ist der Ursprung dieses Tages, was immer man später unter ihm verstehen mag, derart zweifelhaft. Was war gestehen.

Nun, das Deutsche Reich kapitulierte de facto gegenüber der Entente (Frankreich, England etc.) am 11. 11. 1918. Und da dieser Krieg faktisch um nichts ging (wenn man von Leidtragenden wie Belgien einmal absieht), lediglich um Macht, Einfluß, Zerstörung von Konkurrenten, mußte man ihn von Seiten der Sieger unverzüglich moralisch überhöhen. Der Gegner wurde weiter bekämpft, etwa durch eine von Großbritannien gegen Deutschland bis zum Juni 1919 aufrechterhaltene Wirtschaftsblockade, die ca. 1 Million Hungertote forderte, durch einen „Friedensvertrag“, der dem „ehemaligen“ Kriegsgegner soweit als irgend möglich schaden wollte, und es so einem Hitler später sehr leicht machte, ich breche lieber ab.

Wenn man dies weiß, was sagt man dann, wenn man sieht, wie liebenswürdige, Englisch sprechende Bekanntschaften diesen Tag in großer Unschuld und mit sympathischem Pathos begehen? Zumal sie eher an die jüngere Vergangenheit denken werden und da mag vieles wieder anders liegen. Soll man sagen, wie fragwürdig der Ursprung dieses Tages ist, wohl kaum, sie würden es nicht verstehen, zumal ich einfach zugestehen muß, daß seit damals viel geschehen ist.

Wir haben allerdings ein weiteres Problem. Deutsche hatten früher nicht selten so etwas wie ein Gefühl für nationale Würde. Das hat nachgelassen. In der DDR hatten alle mit den Kommunisten gewissermaßen mitgesiegt, so wurde das 3. Reich zu einem Problem, das man in den Griff bekam. Frau Merkel führt gerade vor, wie sie 1918 auf Seiten der Alliierten mitgesiegt hat, ein also bekanntes Muster, ich sehe schon, die Tagespolitik bekommt mir nicht. Und darum bringe ich doch noch ein Video, das ich eigentlich unter den Tisch fallen lassen wollte, aber es hat so etwas angenehm Spannungslösendes.


vom Unternehmen Kurzzeit, Würzburg,
und ein nützlicher Link dazu hier
Video hier gefunden

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Mit der Sinngebung der Feiertage ist es wohl ähnlich wie mit der Software auf dem Computer: Man kann durchaus eine neue Software installieren. (Das war ja im 20. Jahrhundert in Deutschland immer wieder der Fall.) Nur muss man dann damit rechnen, dass im Konfliktfall doch wieder die ursprüngliche, nur scheinbar gelöschte, ältere Software zum Tragen kommt. Beim Konfliktfall muss man bekanntlich oft erheblichen Aufwand betreiben, damit es weiter geht, wie im politischen Leben bei der Sinngebung von Feiertagen.
MV

MartininBroda hat gesagt…

Wie du siehst, es ist einfach zu kommentieren. Weniger einfach ist es, über ein Thema wie dieses zu schreiben, oder auch zwei Themen, die letztlich doch zu einem werden. Erinnerung und Gedenken, zu sehen, daß das heute Selbstverständliche einfach nur die letzte Farbschicht ist, unter der, wenn sie abblättert, weitere, andere, widersprechende erscheinen. Welche unter diesen ist nun die authentische, und ist diese Frage überhaupt substantiell.