Samstag, 23. August 2008

Ólafur Arnalds

Der Ort, an dem ich in dieser Zeit wohne, grenzt unmittelbar an einen Wald, der zu einem See hin abfällt, dem Tollensesee, und vielleicht 10 Minuten entfernt erhebt sich über dem See ein Belvedere, das ebenso genannt wird, meistens jedenfalls, es gibt da die lustigsten Aussprachevarianten. Erbaut 1823 durch Friedrich Wilhelm Buttel auf Wunsch von Großherzogin Marie von Mecklenburg-Strelitz in der Nachfolge eines Vorgängerbaus, diesmal in der Form eines offenen dorischen Tempels.

Vor diesem Belvedere sollte heute (das heißt in diesem Fall, vor wenigen Stunden) ein Open-Air Konzert von Ólafur Arnalds stattfinden. Ich liebe Open-Air Konzerte, die im Moment ihres angekündigten Beginns im Regen versinken. Dieses Glück ereilte mich eben vor kurzem.

Allerdings führte das nur dazu, daß die Besucher sich zunächst unter die umstehenden Bäume, dann aber in das Gebäude flüchteten, von dem sie einen passablen Blick auf die Rückseite der Bühne hatten, die vor ihnen aufgebaut war. Es gab erhebliche Bewegung und nach vielleicht einer ¾ Stunde konnten die Musiker ein Konzert ohne Lautsprecher, also “unplugged“ ermöglichen, das mich hin und hergerissen hat - ich lasse aus, natürlich, oder sollte ich den Wohlklang umfallender Bierflaschen in dieser herrlichen Akustik zu beschreiben versuchen, nun gut, das waren Einzelfälle, aber arrogante Menschen wie ich sagen dann natürlich, zumindest innerlich, das einzige, was an diesem Konzert störte, war das Publikum.

Es gibt Momente, da wünscht man sich eine Empfindsamkeit zurück, die einem lange verlorengegangen ist, eine wohlgegründete innere Sicherheit, die sich auf die entlegensten Abenteuer des Geschmacks, der Herausforderung, der Überraschung und anderes einlassen konnte. Man mag diesen Verlust lange vergessen haben, aber in der Begegnung mit wirklicher Kunst stößt diese Erinnerung wie ein Dolch ins Gemüt. Aber vielleicht ist das auch ein gutes Zeichen, daß wir innerlich noch nicht völlig abgestorben sind.

Natürlich sind alle diese Erörterungen lediglich ein Versuch, sich eines Kommentars zu der Musik zu enthalten, nur manchmal ist dieses Zögern keine Höflichkeit gegenüber dem zu Beschreibenden, sondern nahezu Verzweiflung an dem eigenen Unvermögen.

Wie soll man eine Musik beschreiben, die geradezu sphärisch verschränkt einen Raum bildet, wie eine unendliche Filmmusik, deren dissonante Melancholie ein Tuch lindernd auf die vergehende Zeit legt, ein Schatz bewahrt gegen das Vergehen. All dies müßte man beschreiben können.

Vergaß ich zu erwähnen, daß durch die Öffnungen dieses klassischen Innenraums der heftige Regen einen bemerkenswerten Hintergrund abgab. Und sollte ich noch nachtragen, daß nach all diesem ich mir im Schein einer Taschenlampe bei strömendem Regen beschirmt von alten Bäumen am Waldrand entlang den Weg zurück suchen durfte? Ich wurde heute unverdient unendlich beschenkt.

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